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    Dem Verleger des Nix
von Peter Wawerzinek

Ein Nachruf auf Erich Maas

Am vergangenen Donnerstag starb der Berliner Verleger Erich Maas mit 48 Jahren an Herz-Kreislauf-Versagen. Seit 1990 hatte Maas in seinem Verlag literarische Avantgardisten gefördert. Er reanimierte den hartgesottenen Krimi in der Tradition Dashiel Hammetts, verlegte Kleinkünstler wie Funny van Dannen und machte sich auch als Illustrator einen Namen. Zuletzt richtete Maas ein Internetportal für unabhängige Verlage ein. Der Berliner Autor Peter Wawerzinek hat seine Erinnerungen an Erich Maas aufgeschrieben. F.A.Z.

Erich Maas kam mit dem Mauerfall. Wir haben uns nicht zufällig kennengelernt. Wir haben zusammen gearbeitet. Das heißt, wir hockten schön eng in Berliner Bruchbuden aufeinander. In der ständig kunstquetschenden Stadt unternahmen wir herzerfrischende Störaktionen, als die anderen noch wegen der Begrüßungsgelder anstanden. Die Kamera geschultert, rückten wir im Sinne der Lyrik von Matthias Baader Holst gelblich-weißen Saale-Schaum in die Bildmitte. Wir saßen in Dessauer Bauhausgestühl. Wir stolperten über Bitterfelder Kohlenhalden. Wir hielten groß Tafel. Wir lümmelten in uns nicht zugedachten Sesseln. Wir geisterten in Potsdam, Zittau, Leipzig, Bonn, Paris, Klagenfurt, Venedig. Mit der Gießkanne in der Faust durchstreiften wir sächsische Schrebergärten. Wir hatten unseren ganz privaten Spaß mit der hilflosen Gesellschaft. Wir wohnten brüderlich in der Esmarchstraße, in der Rykestraße, in der Brunnenstraße. Wir zerredeten Nächte wegen der feinsten Nichtigkeit. Wir empörten uns. Wir fassten die nächste Attacke ins Auge. Wir schwärmten aus zur Talkshow und hatten furchtbar viel Spaß dabei, das Gegebene auszuheben. Wir hauten auf den putz. Wir freuten uns diebisch. Wir blieben nicht allein. Wir wurden Bande. Wir scharten Helfershelfer, einig im Willen, Stirn zu bieten. Und alles ging so herrlich unbefangen vonstatten. Wir hoben im Rahmen unserer freiheitlichen Unordnung ab. Wir konnten nicht Rücksicht noch Blatt vor den Mund nehmen. Wir machten die Bücher nebenher. Die zogen in von uns vorgezeichneten Kreisen. Wir erfreuten Passanten, schreckten Bücherwürmer, beleidigten Moderatoren, scheuchten die Kritikaster aus ihrer Weinseligkeit. Wir schimpften, wir lachten, wir rauften und sorgten für Tumult. Wir leisteten Arbeit am Fundament. Wir brachten Harry Haas in die Lage, seinen Koko Metaller auftanzen zu lassen. Wir befreiten in gezielter Aktion die Geschichten Funny van Dannens, stießen sie aus den Notizheften zum Spurt ins Glück. In den Megapausen amüsierte uns Kapielski mit seinem lebensfrohen Diaschwachsinn. Wir lauschten hingebungsvoll dem liebestollen Kauderwelsch des Deutsch-Thailänders Husen Ciawi. Wir waren ein Haufe, eine gute Truppe. Keiner stand außen vor. Wir waren uns unverbrauchte Gesprächspartner, nimmermüde Antriebsmotoren, Ideenlieferanten, Spontaneitäten. Jeder wurde dem anderen Teil seiner ernsthaft wilden Zeit. Ich verdanke Erichs Zerpflückungslust mein erstes gutes Buch. Ich habe es NIX genannt, weil nicht klar war, wer von uns beiden es mehr zustande gebracht hat. Wir sollten beide von seinem Wert überzeugt sein. Es heißt, wir zählten damals zu den wichtigen Momenten des kulturellen Lebens. Das aber ging uns nichts an. Zwei, drei intensive Jahre, denke ich, beschäftigten wir den Kunstbetrieb, die Polizei, die Gerichte. Dann war das ausgestanden. Zwischen uns drängten Bildschirm, Arbeitsräume, Bildschirmtexte, virtuelle Messer. Wir gingen in Anstand und leise auseinander. Funny wurde Liedermacher und hilft den Toten Hosen mit Versen aus. Kapielski dient einem Professor und hat Freude an der Arbeit mit der Jugend. Husen flirtet jetzt an seiner eigenen Bar. Ich habe die Buchdeckel zugeklappt und spaziere mit Klaus durch Berlin. In konzentrierten Momenten bestaunte ich die ungehörige Konsequenz, mit welcher Erich Maas seiner Zeit auf den Plan trat. In welch unbeirrbarer Radikalität der Kerl von West nach Ost ging. Wie selbstverständlich er in Prenzlauer Berg nistete, sich Respekt verschaffte und bei aller Hektik sich hingebungsvoll um Frauen und deren Kinder kümmerte. Ich sah in vollständiger Person den kommenden Verleger, eine in Deutschland längst ausgestorbene Spezies.

Erich Maas wohnte zuletzt gleich bei mir um die Ecke. Von Küche zu Küche über den Hof hätten wir uns zurufen können. Ich sah ihn mit seiner Aktentasche einmal die Woche direkt unter meinem Fenster in seinen kleinen Fiat steigen. So ist er aus meinem Leben gefahren.

Peter Wawerzinek, 18. April 2001