Manuskript für den 2. 5. 2001
von Mario Mentrup
Prolog
Erichs Beerdigung. Sie findet in Ediger an der Mosel statt. Dort wohnen seine Eltern noch und auch seine Schwester und ihr Sohn. Deshalb ist es gut, daß sein Körper dort vergraben wird. Wir fahren mit dem Auto früh morgens im grauen Berlin los. Bei der Überquerung des Rheins bei Koblenz kommt die Frühlingssonne durch. Die ja-panischen Kirschbäume blühen rosa, die Magnolien weiß. Das sind die Blumen die-ses Todes. Die Dörfer an der Mosel bestehen aus mittelalterlich anmutenden Häus-chen mit Türmen und Zinnen. Märchenland. Der Friedhof liegt oberhalb der hüb-schen katholischen Kirche der Pfarrgemeinde Sankt Martinus in Ediger an einem sonnigen Hang. Man hat den Eindruck, die Gestorbenen könnten hinunter ins Dorf schauen, ein schöner Ausblick, wären da nicht die 4 Kubikmeter Boden und der Holzkasten. Irgendwie erinnert dieser Friedhof an den, auf dem Albert Camus begra-ben liegt. Vielleicht wegen der Sonne, oder der klaren Luft, oder der Stille. Erich Maas erhält ein Begräbnis mit allem christlichen drum und dran, obwohl er längst aus der Kirche ausgetreten war. Vielleicht hatte er trotzdem an einen Gott geglaubt. Der Ablauf der Zeremonie kommt mir unangemessen vor, so sehr es mich auf der ande-ren Seite auch interessiert, wie die Katholiken Begräbnisse abhalten. Die katholische Kirche sollte sich vielleicht etwas liebevoller auf die Menschen selbst konzentrieren, anstatt furchterfüllt auf Jesus, den Heiligen Geist oder die Jungfrau Maria und alle möglichen Kirchenautoritäten emporzublicken.
Die Gedanken können während dieses Programms dafür umso besser abschweifen in eine andere spirituelle Welt, in der Erich Maas gar nicht tot ist, sondern sich über sein absurdes Begräbnis amüsiert. Kicher, kicher, entweicht es dem Sarg, der gott-verlassenallein 100 m abseits in der kleinen Kapelle am oberen Ende des Friedhofs steht. Erich trägt seinen besten Nadelstreifenanzug und hat die Hände auf dem Bauch verschränkt, was man aber nicht sieht, da der Sarg keinen gläsernen Deckel hat. Dann werden direkt vor Ort noch einige kirchliche Lieder gesungen und Erich wird zur Grabstelle getragen und an Seilen hinuntergelassen, wie es schon seit Jahrtausenden üblich ist. Die Sonne brennt immer stärker, so daß man jedes Staub-korn auf den schwarzen Anzügen der Menschen erkennen kann, die sich hier von Erich verabschieden. Es muß ja nicht immer regnen, wenn jemand beerdigt wird. Dafür wird eine ganze Flut von Weihwasser auf den feuchtigkeitsabweisend imprä-gnierten Holzsarg geträufelt. Wieder erinnere ich mich: Dieser Jemand ist wohl wirk-lich Erich Maas. Heimlich unter den Trauernden befindet er sich jedenfalls nicht, wie im Schwarzweißfilm "Der dritte Mann" von Welles, in dem jemand untergetaucht ist, um im Untergrund wirksamer agieren zu können. []
Im April 2000 haben wir Erich Maas zum ersten Mal getroffen. Wir zeigten ihm das Manuskript von "Leben auf der intellektuellen Überholspur" und fragten ihn, ob er es verlegen wolle. Bei diesem Buch handelt es sich um ein Nachschlagewerk, in dem wir alles über die wichtigsten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte aufge-schrieben haben, was wir wissen, ohne zu recherchieren - also nur das, was unseren subjektiven Eindruck wiedergab. Nach einigen weiteren Treffen sagte Erich zu. Das Buch sollte als Volumen 14 in der Reihe Maasmedia erscheinen. Wir waren über-glücklich. Den ersten Eindruck von Erich selbst, der während dieser Zeit meist am txt-Projekt gearbeitet hat, schrieben wir spaßeshalber gleich auch im Stil des Buches auf:
Maas, Erich
Bewundernswert krepliger Kleinverleger. Erich Maas wurde einige Jahre nach dem 2. Weltkrieg geboren und zeichnet sich dennoch durch eine verblüffende und auch angenehme Liberalität gegenüber jüngeren Schriftstellern aus, auch wenn schon etwas etabliertere Schriftsteller, wie z. B. der etwa gleichaltrige westberliner Thomas Kapielski, der auch schon einmal als Biersumpfblüte be-zeichnet wird, zu seinen Duzfreunden und verlegten Autoren zählen. So hängt in Erich Maas' Büro, das sich in der Dunckerstrasse ca. 17 im 2. HH Parterre befin-det, auch ein vom Illustrator 4000 gemaltes Bild mit dessen Namenszug.
Erich Maas steht den sog. Neuen Medien aufgeschlossen gegenüber, was sich dadurch äußert, daß er trotz seines deutlich über 25 Jahre liegenden Alters ein durchaus solides Fachwissen im Bereich der Computertechnologie besitzt. So versucht er auch, mit seinem fast schon bekannten Internet-Buchhandel namens txt im deutschsprachigen Online-Buchgeschäft Fuß zu fassen. []
Wir lernten Erich Maas später besser kennen. Wenn wir danach noch einen ähnli-chen Text verfasst hätten, dann hätten einige Details auf keinen Fall fehlen dürfen. Das meiste wußten wir natürlich immer noch nicht:
Maas, Erich
Verleger, Künstler, Mensch mit Idealen. Erich Maas wurde im Juni 1952, kurz vor der Wiederbewaffnung Deutschlands, geboren und wuchs in der kleinen Mosel-Gemeinde Ediger auf, einem pittoresken Weindörfchen, das vom Mosel-Tourismus zu leben scheint und etwa 20 km flußaufwärts von Cochem, Rhein-land-Pfalz, gelegen ist. Wenn man einen Motorroller besitzt und über den Berg fahren kann, beträgt die Entfernung sogar nur ca. 7 km. In Ediger leben noch seine zwei ebenfalls nicht hochgewachsenen Eltern, mit weiß-grauen Haaren, sowie seine Schwester mit Mann und interessiertem Sohn. Nach Absolvierung der Schulzeit, die wohl auch den Besuch des Gymnasiums in Cochem beinhal-tete, versuchte Erich Maas, den Kriegsdienst zu verweigern, was ihm leider je-doch misslang, weil die Gesetze zu jener Zeit, etwa in den 70er Jahren des 20. Jhdts., noch strenger waren und man vor einer Kommission erscheinen - und
auf sehr schwere Fragen passende Antworten finden musste. Nach seiner un-freiwilligen militärischen Ausbildung in der deutschen Bundeswehr zog Erich Maas in die etwa 100 km entfernte Stadt Köln und begann ein Studium der Kunst oder Kunstgeschichte. Dort lebte er einige Jahre in Wohn- und Ateliergemein-schaften, bevor er wohl in den 80er Jahren nach Berlin ging bzw. eine der da-maligen Transitstrecken nutzend fuhr. Interessanterweise arbeitete Erich Maas noch vor dem 9. November 1989 in einem Betrieb oder einer Institution, etwa ei-ner Druckerei oder einem Verlagshaus, in Ost-Berlin, der damaligen Hauptstadt der DDR. Vermutlich empfand er das System der sozialen Marktwirtschaft des sog. Westens als unzufriedenstellend, auf jeden Fall hatte er keine Berüh-rungsängste mit sozialistischem Gedankengut.
Vor, während oder nach dieser Zeit war Erich Maas gut befreundet mit dem gleichfalls nicht sehr großgewachsenen Schriftsteller und Denker Peter Wawer-zinek, der auch von ihm unbekannten Menschen oft kurz Schappi genannt wird, sowie mit Thomas Kapielski, der mit Lesungen und absurden Dia-Shows in eher kleinen Veranstaltungsorten auftrat, z. B. im Silke Arp Bricht in Hannover. Mit da-bei waren auch der jugendlich-sympathisch erscheinende, für seine deutsch-thailändische Abstammung erstaunlich akzentreich Deutsch sprechende Dichter mit Namen etwa Hu Sen und ein bis zwei weitere Berliner Prä-Popliteraten. Die-se Gruppe hatte ein Anliegen. Als wollten sie nicht erwachsen werden, machten sie gemeinsam oder einzeln Auftritte, Bilder, Installationen, Filme und Texte, die die gemeinhin gängigen Werte in Frage stellten. Auch mancher feuchtfröhliche Diskussionsabend in einer Ostberliner Intellektuellenkneipe namens Torpedokä-fer wurde zu diesem Zweck abgehalten. Vielleicht, um dann doch einen richtigen Beruf zu haben, gründete Erich Maas schließlich den Maas-Verlag. Die Bücher, die Erich Maas verlegte, zielten erwiesenermaßen nicht auf hohe Verkaufszah-len, denn als er z. B. ein wohl sehr gut geschriebenes Buchmanuskript überreicht bzw. angeboten bekam, vermittelte er den Autor mit Vornamen Ulf oder Thor an den renommierten Rowohlt-Verlag, statt den Versuch zu unternehmen, damit auch einmal Geld verdienen zu wollen. Dies tat Erich Maas nämlich wohl haupt-sächlich als Illustrator für Zeitschriften wie z. B. Psychologie Heute, nicht selten auch Cover. Diese Bilder und Collagen, die aufgrund der sowohl zeichnerischen als auch computertechnischen Fähigkeiten von Erich Maas z. T. von Hand, z. T. unter Zuhilfenahme des Computerprogramms Photoshop des Softwareherstellers Adobe erstellt wurden, und das vor allem nachts, brachten ihm zahlreiche, auch internationale Auszeichnungen ein, so z. B. aus England, Japan und den USA.
Erwähnt werden könnte noch, daß Erich Maas' besonderes Steckenpferd die Texte und Filme von Takeshi Kitano waren, einem Filmregisseur aus Japan oder Hong Kong. []