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    Bis dann, Erich...
von Thor Kunkel

Ich habe noch nie einen Nachruf geschrieben.

Was gibt es auch noch diesem dunkeln, sich mit Überlichtgeschwindigkeit entfernenden Zug nachzurufen, der letzte Woche in der Nacht vom achten auf den neunten April in der Brunnenstrasse Halt machte um einen Passagier aufzunehmen?

Der Tod ist ein Kohlenfloss, die Ohren, die diesen Nachruf hören müssten, hören nicht mehr.

Und was könnte man einem nachrufen in die subatomare Stille?

Ich habe Erich 1995 auf der Frankfurter Buchmesse kennengelernt als ich mit einem 1000 Seiten Manuskript unter dem Arm umher irrte. Am letzten Tag nachdem ich all die sogenannten "führenden Verlagshäuser" erfolgslos abgeklappert hatte, stand ich am Nachmittag , - ein letztes Manuskript-Exemplar unter dem Arm - , vor einem winzigen Stand, der sich hinter einem bunten Plastikstreifen-Vorhang verbarg. Zehn Minuten lang drückte ich mich vor diesem merkwürdigen Eingang herum, ohne zu wissen was mich hielt oder auf was ich mich einlassen wuerde. Irgendwann tauchte dann ein kleiner, breitschultriger Mann durch den Vorhang, er sah mich an, lächelte freundlich - und der Rest ist inzwischen - ich galube man darf es sagen - Literaturgeschichte.

Zwei Jahre lang sollte Erich Maas mit mir an meinem Roman "Das Schwarzlicht-Terrarium" arbeiten, zweimal wühlte er sich durch einen riesigen Wortsteinbruch - zwei Schuhkartons randvoll gefüllt mit Papier- , die er mir dann per Post nach Amsterdam schickte. Auf manchen Blättern waren Kaffeeflecken zu sehen, andere zeigten markante Spuren am Rand, als ob sie die Glut einer Zigarette gestreift haette. Ich weiß unter welchen Umständen und persönlichen Entbehrungen Erich zu dieser Zeit gearbeitet hat. Trotzdem hatte er mich nie um irgendeine Gegenleistung gefragt. Seine Kommentare waren immer korrekt, an keiner Stelle geschmäcklerisch oder unpassend. Eine tiefe Stilsicherheit zeichnete diesen Mann aus, und eine absolute Liebe zur Wahrheit. Das Wort ist so oft missbraucht worden, dass man es eigentlich nicht mehr benutzen sollte, aber es muss genannt werden, wenn es darum geht zu beschreiben, was mich mit Erich verband: Wir zwei gegen den Rest der bornierten literarischen Welt. Auf Kollisionskurs. Mit offenen Augen und mit 180 gegen die morsche Bücherwand. Es ging darum den Sturm zu beschwören.

Beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 1999, als ich in Klagenfurt vor den Kameras sass, habe ich an Erich gedacht. Auch bei der Preisverleihung. Und auch als der Roman dann veröffentlicht wurde, deshalb findet sich sein Name gleich am Anfang. Aber Erich war mehr mein ältester Streitgefährte, ich habe Erich geliebt und respektiert. Vielleicht habe ich ihm deshalb zu lange zugehört, anstatt sofort den Notarzt zu rufen. Vielleicht habe ich nur deshalb seiner Selbst-Diagnose vom Kreislauf-Kollaps geglaubt. Ich wollte, daß es nichts schlimmes war. Ich wollte es so sehr wie Erich, der mir immer wieder versichterte: "Das kommt schon wieder in Ordnung..."

Er machte tatsächlich nicht den Eindruck eines Sterbenden auf mich. Es gab kein Anzeichen von Schmerz, nicht das geringste. Fragte ich was, bekam ich eine klare Antwort. Es war dieselbe brummige Stimme, die ich aus endlos langen nächtlichen Telefongesprächen kannte.

Später, als ich schon am Packen war, hörte ich ihn von weit her singen. Er sang scheinbar fröhlich vor sich hin. Erst gegen sechs rief er nach mir mit einer gebietenden Stimme. "He, Thor - setz mich bitte mal aufs Scheisshaus." Ich glaube das waren seine letzten Worte. Zu diesem Zeitpunkt konnte er nicht mehr gehen und mir fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Noch immer protestierte er schwach gegen den Notruf.

Als der Notarzt kam, konnte ich noch hören wie Erich sein Geburtsdatum nannte.Klar und deutlich.
Jemand konstatierte eine Pupillen-Divergenz.
Jemand nannte einen Blutdruck von 100.
Jemand sagte es sei wohl etwas mit seinem Kopf nicht in Ordnung.
Erich musste in diesem Moment lächeln.

Es ging dann alles ganz schnell.
Erich war fort.

Es klingt vielleicht lächerlich, aber ich weiss, dass wir uns wiedersehen werden. Zwei Tage vor unserem überraschenden Abschied, habe ich Erich noch aus meinem dritten, im Entstehen begriffenen Roman "Endstufe" vorgelesen. Es ist eine Liebesgeschichte. Einen Passus aus dem Epilog wollte Erich ein zweites Mal hören.

"Es ist dem Kreis und der Geraden eben nicht bestimmt sich im Endlichen zu treffen, bekanntlich koindizieren sie nur in der Unendlichkeit. Wenn es unsere Seelen doch geben sollte, dann werden wir uns nie wiedersehen - ich schätze der Teufel hat mir schon ein warmes Plätzchen reserviert, und du kommst dann ganz sicher in den Himmel. Wenn nicht, dann tröste dich mit der Vorstellung, daß sich unsere Atome am Ende aller Zeit wiedertreffen und womöglich miteinander zu verschmelzen werden. Dann, und nur dann, wird jedes Einzelne Kunde tun von einer unsterblichen Liebe."

Bis dann, Erich.