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der modernen elektronischen Musik in Deutschland |< |
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Ralf HUETTER: Wir haben ständig gearbeitet. Wir sehen uns nicht als Musiker, die den großen Einfall haben, blitzartig und dann sagen, "das ist es!". Wir sehen uns als Musikarbeiter. Deshalb haben wir dieses Studio, das KlingKlang Studio, wo wir seit über zehn Jahren jeden Tag arbeiten.
Das sind nicht nur Töne, das manifestiert sich in einem elektronischen Lebenstil. In allen Lebensbereichen setzen wir uns damit auseinander.
An irgendeiner Stelle ergibt sich die Musik daraus zwangsläufig und klingt dann so und nicht anders. Das ist so, wenn man sich den ganzen Tag mit diesen elektronischen Apparaten und dem Realismus der heutigen Zeit beschäftigt und sich darüber klar wird.Für uns steht dann fest, das kann nur so klingen.Für uns kann 1980, '81 nur so klingen wie COMPUTERWELT. Das ist wie eine Zeitmaschine, wo am Ende das rauskommt, was wir überall mit unseren Sinnen aufgenommen und verarbeitet haben.
ME: COMPUTERWELT klingt, nach erstem Anhören, einfach. Im positiven Sinne. Kann das heißen, daß unser Leben einfach ist? RALF HÜTTER : Nein, das glaube ich nicht. Das Leben ist nicht einfach. Aber wir stehen auf Konzentrat. Wir lieben die geraden Linien. KRAFTWERK steht für eine ziemlich geradlinige Sache, die wir seit Jahren machen. Wir sind nicht besonders flexibel.. ME: ...seid ihr stehengeblieben... RALF HÜTTER :...ich meine geradeaus nach vorn. Für uns sieht es so aus, als ob wir uns weiterentwickelt haben. Wir wollen unsere Musik gradlinig ohne Schnörkel spielen, weil es für uns feststeht, daß das am schwierigsten ist. und es ist für uns so am ehrlichsten so direkt zu spielen. ME: Im gewissen Sinne wird das zur Volksmusik. RALF HÜTTER : Es wäre großartig, wenn uns das gelänge. Elektronische Volksmusik. Das schwirrt auch in unseren Gedanken herum, doch das ist nicht unsere Entscheidung. Wenn aber in unserer Musik was drin ist, was die Lebenssituation des heutigen Menschen betrifft, und das man verstehen kann, dann haben wir das Gefühl, das wir unsere Arbeit auf der richtigen Ebene getan haben. Es geht da um Wahrheitsfindung. Wirklichkeitsfindung für uns selbst.Es interessiert uns, was mit uns los ist. Weil wir hier leben und ständig diesen Einflüssen ausgesetzt sind. Wir nennen diese Platte "Neue Sachlichkeit". ME: Sie klingt für mich sehr positiv! RALF HÜTTER : Grundsätzlich ist unsere Lebensform positiv. Sonst würden wir das nicht machen. "Der Rhein ist verseucht" voll Zynismus zu sagen, "also kippe ich meinen Müll auch hinein" - das hieße für uns mit der Arbeit aufzuhören. Denn musikalisch gesehen hieße das ja, daß die Musikwelt musikalischer Müll ist. ME: Ist sie das nicht auch ?
RALF HÜTTER : Sie besteht zu einem großen Teil aus akustischen Müll. Für uns steht fest, daß die Musikindustrie im weitesten Sinne auch umweltverschmutzung betreibt, so wie jeder andere Industriezweig auch. ME: Damit verlangst du, daß wir alle uns befleißigen, die Dinge einzeln und bewußt aufzunehmen... RALF HÜTTER : ...ja, bewußt aufnehmen. Sich konzentrieren. Jeder versucht heute, sechs Sachen auf einmal zu machen... ME: ... und ist auch noch stolz darauf! Sollte man dann nicht weitergehen und die Dinge die auf den Markt kommen, begrenzen? Aber ist das nicht ebenso gefährlich? RALF HÜTTER : Die Antwort kann nur sein, daß man dem nicht mit Zynismus begegnet und sagt,"egal, noch 'ne Müllplatte auf den Markt!".Wir haben für uns die Erfahrung gemacht, daß man aus dem Nichts etwas machen kann. Auf ein unbespieltes Tonband kann man was draufspielen... Wenn man dann daran arbeitet, merkt man, wie die eigene Kreativität, die eigene Kraft wächst. Nur durch Tun, durch Handeln. ME: Die Texte auf euren Platten sind ebenfalls auf ein Minimum reduziert.
RALF HÜTTER : Ja. Das sind Code-Worte, Schlüsselworte. Weil wir auch keine Schriftsteller sind. Außerdem glauben wir, daß in Sprache, Schrift bereits alles gesagt ist. Man glaubt nur, was man schwarz auf weiß lesen kann. Das ist Mittelalter. Man kann auch einen Film sehen, eine Platte hören. Bilder, die visuellakustisch transportiert werden. unsere Musik läßt sich nicht in Worten beschreiben, nicht in einzelne Worte zusammenpressen.
ME: Wie stellt sich die Computerwelt dar? RALF HÜTTER : Als Realismus. Zunächst ohne Wertigkeit. Wir versuchen das ohne Moral zu sehen, weil wir glauben, Moral kann man sich heute überhaupt nicht mehr leisten... ME: ... aber entwickelt sich nicht aus der technisierten COMPUTERWELT wieder eine neue Moral? RALF HÜTTER : Mehr aus der Erkenntnis. Wir müssen unser Leben durchsichtiger machen. Es wird doch soviel verschleiert. Keiner soll das merken. unser Leben basiert auf Tarnung. ME: Computer tragen mit ihrer Speicher- und Abrufmöglichkeit entscheidend dazu bei.
RALF HÜTTER : Selbstverständlich. Deshalb machen wir das ja auch. Wir denken, daß man mit Computern auch ganz andere Sachen machen kann, transparente.
ME: Dann ist COMPUTERWELT überaus politisch zu sehen. RALF HÜTTER : Ja, ziemlich. ME: Anstöße geben...
RALF HÜTTER : Vor allen Dingen in dem Bereich, in dem wir tätig sind. Es gibt Leute, die sind politisch sehr aktiv, öffentlich, den ganzen Tag politisch! Sie geben alle möglichen Sachen von sich, und wenn sie dann sie selbst sind, in ihrer wirklichen Existenz, dann sehen sie sich plötzlich als Cowboys.
ME: Der Song "Taschenrechner"...
RALF HÜTTER : Er ist eine Menschenrechtes objekt geworden. Dimensionen, die greifbar sind. Wir haben mit Taschenrechnern und einer Kinderspielzeug-Miniorgel rumgebastelt. Zunächst machen wir unsere Musik nicht gedanklich. Wir experimentieren, improvisieren. Wir können nicht voraussehen, was da kommt. Man muß offen sein. Wir fungieren oft medial. Sachen kommen auf uns zu, man wird selbst zum Medium.
ME: &AuML;hnlich wie Jazzer es tun, frei über gewissen Schemata zu improvisieren, kreativ zu sein... RALF HÜTTER : Ja, wir versuchen, die Grundstrukturen nicht so kompliziert zu machen, damit man sich nicht darauf konzentrieren muß, richtig zu spielen. Räume schaffen, in denen man frei arbeiten kann. ME: ... mehr verinnerlichen, ohne an Spieltechnik denken zu müssen und Gefühle nach außen geben... RALF HÜTTER : ... Durch die Computer brauchen wir uns keine Gedanken zu machen, ob wir alles richtig spielen. Ein klassischer Pianist muß jeden Tag fünf, sechs Stunden üben, um sich mechanisch in Form zu halten. Das ist doch ein Witz. Der kaut wieder. Der Computer hingegen spielt auch technisch bisher unspielbare Sachen. ( Hier teilen sich unsere Gedanken, weil ich zum einen glaube, daß wir unser Leben nicht ohne Traditionen leben können, also auch das herkömmliche Klavier brauchen, und daß wir, unseren Stimmungen gemäß, eine Beethovensonate z.B. jeden Tag, ja jede Sekunde anders spielen, da wir sie anders empfinden, da wir anders sind, andere sind. - D. I.) Das zeigt doch, daß sich die andere Richtung, das alte Herrschaftssystem, total zusammenbricht. Gewisse Herrschaftsstrukturen, die da sind, aufgrund von physikalischen und mechanischen Gesellschaftsformen, werden durch ein elektronisches Zeitalter, das jetzt beginnt, zusammenbrechen. Auch Gedankengebäude, denn die sind noch schlimmer als physikalische. ME: Was wird der Mensch dann noch für eine Rolle spielen, welche Aufgabe hat er in diesem System?
RALF HÜTTER : Er muß eine neue Identität finden. Die Figur des heutigen Herrschaftsmenschen, so wie er rumläuft, ist längst zum Roboter geworden. Wir haben diese Stufen ja selbst erfahren. Wie wir heute arbeiten, ist völlig anders, als noch vor wenigen Jahren. Der Gedanke der Machbarkeit. Sofort denken, das Gedankliche in den Vordergrund stellen.
ME: Heißt da, daß du das meiste, was auf dem Musik - Markt passiert, ablehnst? RALF HÜTTER : Ablehnen nicht, aber es hat für mich überhaupt keine Bedeutung. Wunderbare Gymnastik. Was nicht heißt, daß es besser ist, was ich mache. ME: Aber für mich gibt es Stimmungen, da will ich mich direkt körperlich von kräftiger, herkömmlicher Rockmusik berühren lassen... RALF HÜTTER : Das ist für mich kaum mehr möglich. Das ist für mich eine faschistische Kunstform. Wo es darum geht, daß einer oder mehrere die Herrschaft über möglichst viele Millionen Zuhörer übernimmt. ME: Das stellt sich doch auch bei euch ein! Wenn der "Taschenrechner" in Discotheken zu hören sein wird! RALF HÜTTER :Das ist das Medium. Aber wir hoffen, daß das bei uns in einer anderen geistigen Haltung passiert. ME: Ein frommer Wunsch Mögest du recht behalten. Aber hast du in jüngeren Jahren nicht auch anders gedacht, bist in Konzerte gegangen? RALF HÜTTER : Ja, ich mache den Leuten nicht Vorwurf, die heute in Hämmer - Konzerte gehen. Aber denen die wissen, was da läuft. Die das gezielt verbreiten. Die wollen Herrschaft ausüben. Der amerikanische Rockmusikmarkt! Ich bin froh, daß sich in Deutschland so viel tut. Eine ganz neue Generation - das gibt Auftrieb. ME: Zur Platte MENSCH- MASCHINE wolltet ihr eine Tournee machen, die letzte lief 1976, es wurde '78 nichts draus, warum ? RALF HÜTTER : Wir haben es nicht geschafft. Wir wollen keine halbfertigen Dinge machen. Wir hatten die Idee mit der Computer -Schaltzentrale. Das mußten wir bis zum Ende durchentwickeln. Jetzt ist es soweit und wir gehen weltweit auf Tournee. Von Ende April bis in den Juli hinein. ME: Was werdet ihr auf der Bühne spielen, was wird technisch passieren ? RALF HÜTTER : Wir spielen gesammelte Werke. Konzepte in variierter Version. Wir spielen nicht reproduktiv, sondern alles so, wie wir es heute fühlen. ME: Warum macht ihr Konzerte ?
RALF HÜTTER : Es geht eine Form von Energie von Menschen, die sich an einem Ort befinden, aus. Wir als Batterien, die sich aufladen, entladen. Da kommen Energieströme zusammen, die für uns wichtig sind. Wenn man das allerdings zuviel macht, stumpft das ab. Durch solche Reizüberflutung fliegt man hinterher weg.
ME: Danke Ralf, es war ein sehr interessantes Gespräch ! Dankmar Isleib - 5/81
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