|   | 
      
 
 
        
        |> Artikel: Kraftwerk 
           
         
          
        Boing Boom Tschak  
              von Tobias Rapp 
        [Taz; 27.3.2004]  
         
         
        Nichts altert so schnell wie die Zukunft. Als sich gegen Ende des Kraftwerk-Konzerts 
        am vergangenen Donnerstag im Berliner Tempodrom noch einmal der Vorhang 
        öffnete und die berühmten Roboter mit den aufgeschraubten Köpfen 
        der vier Musiker für "Die Roboter" auf der Bühne stehen, 
        wirken sie als hätte sie jemand für die Tour aus einem Museum 
        geholt. Es sind nicht nur ihre ruckartigen Bewegungen, die sie so fehlerhaft 
        und damit ungewollt menschlich aussehen lassen: Allein der Umstand, dass 
        sie überhaupt am menschlichen Knochengerüst orientierte Greifarme 
        haben, lässt sie fast rührend natürlich erscheinen. Sie 
        kommen einem vor wie Arnold Schwarzenegger in den letzten beiden "Terminator"-Folgen. 
        Die Roboter, die heute das Andere repräsentieren sind Flüssigmetallorganismen. 
         
         
        Das war einmal ganz anders. Als Kraftwerk in den frühen Achtzigern 
        Puppen auf die Bühne stellten, um zu demonstrieren, dass sie als 
        Musiker nicht mehr nötig seien, weil Maschinen diesen Job übernommen 
        haben, wurde das wahlweise gefeiert oder mit Schrecken zur Kenntnis genommen. 
         
        2004 stellt sich das alles ganz anders dar: Es ist die erste Kraftwerk-Tournee 
        seit dreizehn Jahren. Niemand ist gekommen, um sich den Weg in die Zukunft 
        weisen zu lassen. Es ist die große Vergangenheit unserer Gegenwart, 
        die hier gerufen hat, und ihre Visionäre möchte man in Augenschein 
        nehmen. Nebeneinander aufgereiht stehen sie hinter ihren Monitoren, lächeln 
        sich zu, wippen ab und zu mit dem Fuß und Oberkörper und kratzen 
        sich manchmal an der Nase.  
         
        Viel ist über die Bedeutung von Kraftwerk geschrieben worden, tatsächlich 
        dürfte ihr Einfluss auf alles, was musikalisch nach ihnen folgte 
        nur mit dem der Beatles oder James Brown vergleichbar sein. Nicht nur 
        HipHop und House, die beiden Genres, die die Popmusik im vergangenen Vierteljahrhundert 
        revolutionierten, sind ohne die Maschinenmusik der vier Herren aus Düsseldorf 
        undenkbar. Jeder, der heutzutage mit Maschinen Musik macht - und das ist 
        jeder - bewegt sich innerhalb von Parametern, die Kraftwerk maßgeblich 
        bestimmten. 
         
        Gegründet hatte sich Kraftwerk schon 1970, ihr eigentliches Konzept 
        entwickelte die Band jedoch erst zwei Jahre später. Im kulturellen 
        Rahmenprogramm der Olympischen Spielen in München, so erzählten 
        es Ralf Hütter und Florian Schneider, die beiden Masterminds der 
        Gruppe, Jahre später dem britischen Musikjournalisten David Toop, 
        hätten sie balinesische Gamelan-Musik gehört und sich daraufhin 
        entschlossen, ihre Musik ebenfalls auf ethnische Grundlagen zu stellen: 
        konzeptuell deutsche Musik zu machen. Eine deutsche Stammesmusik, die 
        mit den Stereotypen und Fremdzuschreibungen eines Landes spielt, das auf 
        der ganzen Welt für die Qualität seiner Autos und die Effektivität 
        seiner Arbeitsorganisation bekannt ist. Eine Musik aus und für einen 
        industriellen Staat an der Schwelle zum postindustriellen Zeitalter, die 
        Ernst macht mit dem Glücksversprechen des technischen Fortschritts 
        und sich nicht länger an Vorstellungen von Expressivität und 
        Künstlertum klammert, wie sie gerade in der Rockmusik jener Tage 
        vollkommen selbstverständlich waren.  
         
        Das Album "Autobahn" von 1974 war das erste Ergebnis dieser 
        Idee. Wie eine gut geölte Maschine schnurrte der minimalistische 
        und repetitive Rhythmus des Titelstücks, ganz akustische Entsprechung 
        des visuellen Weiß-Schwarz-Weiß-Schwarz-Signals eines Autobahn-Mittelstreifens 
        bei 150 Stundenkilometern. Dass das Stück mit seinem Refrain "Fahren, 
        fahren, fahren auf der Autobahn" eine heimliche Hommage an "Fun, 
        Fun, Fun" von den Beach Boys war, jenen klassischen Song über 
        die Teenagerfreuden auf ganz anderen Highways, zeigte nur, wie raffiniert 
        Kraftwerk ihre Vorstellung Pop auf deutsche Verhältnisse zu übertragen 
        in der Lage waren.  
        Doch hier ging es nicht darum, durch die Gegend zu heizen bis Daddy einem 
        das Auto wieder wegnimmt, hier ging es um die reine Bewegung. Um großzügig 
        geschwungene Straßen, die sich durch Täler und über Brücken 
        ziehen, um jenes Gefühl, das sich einstellt, wenn die Windschutzscheibe 
        zur Leinwand im Cinemascope-Format wird und die Augen zur rasenden Kamera. 
        Es ging um die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, das andere 
        große Thema, das sie von nun an ausloten sollten.  
         
        Der rasende Erfolg von "Autobahn" lag aber, vor allem in den 
        USA, an jenem Bild des deutschen Techno-Übermenschen, der den vier 
        Musiker von Kraftwerk vorauseilte und den sie in Interviews gern bestätigten. 
        Wie Wernher-von-Braun-Klone kamen sie etwa dem in Angst-Lust schaudernden 
        Punkrock-Journalisten Lester Bangs vor, als er sie 1975 interviewte. Für 
        ihn waren Kraftwerk die Reinkarnation jenes eisernen deutschen Willens 
        zur Bewegung und Geschwindigkeit, der die deutsche Pharmaindustrie schon 
        zur Erfindung der Bomberpilotendroge Speed gebracht hatte, die in den 
        Händen von Amerikanern immer in die Selbstzerstörung führe, 
        in den Händen von Deutschen dagegen zu höherer Effizienz. "Irgendwie 
        beruhigend zu wissen, dass sie offensichtlich schlafen", witzelt 
        Bangs, als Florian Schneider sich entschuldigt und den Raum verlässt, 
        um sich auszuruhen.  
         
        Doch Bangs Kraftwerk-Bild beruhte auf einem Missverständnis, kann 
        man dreißig Jahre später feststellen. Es sind Bilder aus dem 
        Wirtschaftswunder-Deutschland, die Kraftwerk auf der riesigen Leinwand 
        hinter ihren Pulten zeigen. Es ist die Autobahn der Fünfzigerjahre, 
        jener Weg heraus aus der Provinz, den das Mobilitätsversprechen jener 
        Jahre allen zu eröffnen schien. Einer Zeit als Paris oder die Côte 
        dAzur noch die große weite Welt und das Versprechen auf ein glamouröses 
        Leben war. Das hat schon fast seine enttäuschenden Momente, wenn 
        man feststellen muss, dass die Techno-Pop-Übermenschen am Ende eben 
        auch nur vier Jungs sind, die versuchen das Glücksversprechen ihrer 
        Kindheit und Jugend nachzubauen.  
        Aber ob "Trans-Europa-Express" oder "Neonlicht": Immer 
        wieder sind es Bilder der Fünfziger, die beschworen werden, um den 
        Kraftwerk-Futurismus zu unterstreichen. Sogar "Das Modell" wird 
        nicht etwa mit New-Wave-Schönheiten illustriert, es sind Models aus 
        den Fünfzigern, die ihre aufwendigen Roben vorführen. Manchmal 
        kommen sie einem vor wie eine bizarre Fifties-Revival-Band.  
         
        In einem sollte Bangs aber Recht behalten: Dieser Musik gehörte die 
        Zukunft, auch wenn sie heute deutlich gealtert daherkommt. Aber Kraftwerk 
        kennen sie eben schon, als sie noch ganz klein war. Zwar hätte man 
        sich schon damals an drei Fingern abzählen können, dass es die 
        schiere Wahrheit war, als sie 1981 sangen: "Automat und Telespiel 
        / leiten heut die Zukunft ein / Computer für den Heimbetrieb / Computer 
        für das Eigenheim" ("Computerwelt"). Es gab allerdings 
        niemanden, der dieses Glücksversprechen einer sich zunehmend in den 
        Alltag hinein verlagernden Mensch-Maschinen-Verkoppelung ähnlich 
        grandios vertonte wie Kraftwerk. Es ist ein unterkühlter Funk, die 
        einem in ihrer gebirgsbachklaren Reinheit immer wieder Schauer der Freude 
        über den Rücken jagt. In seiner dandyhaften Technikaffirmation 
        hat er auch 25 Jahre später noch eine futuristische Frische hat, 
        dass man es kaum glauben mag, dass diese Musik tatsächlich schon 
        so alt ist.  
         
        Das Neue in der Popmusik entsteht immer aus der Radikalisierung von einigen 
        Momenten des Alten. Diesem ehernen Gesetz des musikalischen Fortschritts 
        mussten sich schließlich auch die größten Visionäre 
        des Pop beugen. Ein Produzent wie Afrika Baambaataa übernahm 1982 
        schlicht ein paar Takte aus "Nummern", um mit "Planet Rock" 
        einen der wegweisenden ersten HipHop-Tracks zu kreieren und trieb damit 
        das Prinzip der Repetition auf die Spitze. Während es in erster Linie 
        die Idee einer Umarmung der Maschinen war, die die ersten Techno-Pioniere 
        faszinierte, das Konzept, sich der technischen Entfremdung in die Arme 
        zu werfen.  
         
        Um Kraftwerk selbst wurde es dagegen still. 1991 meldeten sie sich noch 
        einmal mit einer Platte zurück, auf der sie all ihre Hits neu digital 
        eingespielt vorstellten, dann war Funkstille. Sie bekamen keinen produktiven 
        Umgang mit den Radikalisierungsschüben ihrer Epigonen auf den Schirm. 
         
        Erst im vergangenen Sommer meldeten sie sich mit ihrem grandiosen Album 
        "Tour de France Soundtracks" zurück. Und betrachtete man 
        im Tempodrom die Inszenierung von Stücken wie "Elektro Kardiogramm", 
        "Vitamin" oder "Tour de France" mit ihren endlos fließenden 
        Bildern von rieselnden Pillen, flackernden Herzfrequenzkurven und Fahrradfahrergruppen, 
        die in elegischen Bewegungen über Straßen sausen, die sich 
        in eleganten Kurven an Berghänge anschmiegen, so hatte man Kraftwerk 
        noch einmal in ihrer vollen konzeptuellen Größe vor sich: Biomacht 
        und Ritzelsurren, zur reinen Form geronnene Bewegung, Mensch und Fahrmaschine. 
        © Tobias Rapp; Taz - 03/2004 
  
       
 
 
            | D>Elektro  
              |2.1|    | 
 
 
 
|          |> Material | Presse | Interviews <|  | 
 
 
 | 
  |