(Vom Reichtum)
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Autorin des Textes: DJ T-INA, Ina Wudtke and the Neid Magazina Fotoautoren: Idee Konzept Model Ina Wudtke, Foto Birgit Wudtke, Make Up Simone Leifert Special Effect Adrian Dittus
| Trotz stundenlanger Vorbereitungen scheint zu Beginn der Veranstaltung mal wieder alles schief zu gehen. Ulf Freyhoffs Computer ist unter der Wucht transmedialer Programme, die gleichzeitig aktiviert sind, zusammengebrochen. DJ T-Ina greift das Mikrophon: "Ladies and gentlemen, welcome to the 'Neid-Kongreß' - you are about to take part on an experimental reading tonight. There are the DJ's Lucka Skywalker and Bianca from Hamburg, me, myself and I from Berlin-town and the poets: B-Dolf (Freiburg), Erik Schmidt (HH), Karl Böhm (B) and Ina Kurz (HH), all of them have published in the magazin 'Neid', which you may have a look at in the first room, near the entrance." Es ist 21 Uhr, - um nicht nur Dancetrax-süchtiges Publikum zu haben, entschlossen wir (Ulf Freyhoff und Ina Wudtke) uns, den Neid Kongreß früzeitig zu beginnen. Zum ersten Mal funktioniert es auch. Der Raum, eine leerstehende Parterrewohnung am Prenzlauer Berg, ist schon gegen 21 Uhr gefüllt.
Durch den mit Silber-Stoff verhängten Teeraum zieht sich der Duft von anregendem Tee und Kräutergrog. Ich (auch als DJ T-Ina oder Ina Wudtke bekannt) bin aufgeregt und trinke einen mit Holunder angereicherten Rum. In diesem Augenblick trifft das Fernsehteam einer kleinen Produktionsfirma ein. Viel später als verabredet. Das Publikum ist genervt, das Fernsehteam hektisch, ich denke: Du lebst nur durch die Reproduktion und lasse alles geschehen.
15 Minuten später.
Es folgen Texte über den Freiburger Fußballtrainer Finke, Proklamationen wie: 'Steuern auf den Penis von Helmut Kohl', 'Folklorealarm' und vieles mehr... .
Eine 'live Ästhetik' (MTV ist vielleicht ein passendes Beispiel von Echtzeitsimulation) wird mit immer neuen Medien simuliert und reproduziert, so daß ein großer Teil der Leute vielleicht wirklich den Unterschied zwischen Reproduktion und Echtzeitarbeit nicht mehr erfassen kann. Die Simulation von Echtzeit zahlt sich mit Sicherheit finanziell besser aus. Sie ist kräftesparend, aber ist sie unreflektiert auch in Zukunft interessant? Vielleicht geht es vielmehr um die Unterscheidung von 'künstlerischer Arbeit' und dem daraus resultierenden 'Kunstprodukt' und als dritten Punkt: um die 'künstlerische Präsentation' des Produktes, bzw. die Performance. Ursprüngliche Überlegungen, die zu 'Neid', in Form einer Heftveröffentlichung geführt haben, betrafen u.a. das Publikum, in Kunsthallen, Museen und Galerien. Der Künstler wird hier zum Konnexionjäger diskriminiert, der sich an Weißwein und Käsehappen der Oberschicht bereichert. Dies war keinesfalls das Publikum, welches im Brennpunkt unserer Interessen stand. Unser Publikum ging aus genau diesen Gründen nicht an jene Orte. Also mußten wir einen Weg finden, unsere Kunst so zu reproduzieren, daß man dem eigenen Publikum die Kunst mit auf den Weg gibt. 'Neid' als Publikation, dem Neid Magazin, ist da eine gute Lösung, unter vielen anderen, die Neid als Forum organisiert hat. Bei Veranstaltungen wie dem 'Neid Kongreß', war mir als eine der Organisatorinnen und als Künstlerin immer wichtig, eine Mischung von Leuten mit unterschiedlichen Hintergründen, und verschiedenen Interessen anzustreben und dies durch die Form der Einladungskarten, Flyer, Poster, Auswahl der Räume und Steuerung der Pressetexte zu erreichen. Die Ghettoisierung von Kunst, Musik, Poetry, Mode, Feminismus, gleich-geschlechtlicher Lebens- und Liebesgemeinschaften, Leute verschiedenster Kulturen etc. etc. soll durch eine künstliche Brücke mit dem Namen 'Neid' zerstört werden. Inzwischen schreiben auch einige eingesesse Institutionen dieses auf ihr Banner - geändert hat sich seither nur wenig. Mit diesen Ideen im Hinterkopf zurück zum Kongreß. DJ T-Ina wirft das Fischernetz aus, um ihre Seele von den trippigen Sound-Wellen Biancas zurück in ihren Körper zu ziehen: 'Erik ist Linda, ist London, ist Pilli, ist Pille ist: Erik Schmidt. Pilli und Pille sind zwei Figuren aus Eriks Kurzprosa, sie kommen aus den Clubs von London, Toronto, New York, Paris..." Der erste Text, den Erik liest, spielt im Aldimarkt. Erik ist Pilli. Und Pilli hat einen Kopf wie eine Extasypille. DJ T-Ina nennt Eriks Literatur deswegen auch E-Poetry. Jetzt kommt: 'Fernsehen', ein Text, den Erik DJ T-Ina auf Band gesprochen hat. DJ T-Ina legt nicht Platten auf, sie macht Audiocollagen an Hand von drei übereinander geschichteten Spuren. Sie mixt sie live, und verwendet Effekte, mit denen sie die Originalsounds stark verändern kann. Eriks Stimme, die eben noch von ihm selbst in das Mikrophon gesprochen worden ist, wird jetzt in elektronische Daten umgesetzt und durch ihren digitalen Mixer mit der Dramaturgie verschiedenster Filmmusikteile, klassischer Klavierparts, moderner Dancefloor und Geräuschplatten verschmolzen. Ich, DJ T-Ina benutze mein Tapedeck als frühzeitlichen Sampler, markiere mir bestimmte Textpassagen, die ich wiederhole und dabei in unterschiedlichen Tonhöhen wiedergebe. So verstärkt sich der Eindruck, es sprächen verschiedene Personen, die doch alle in einer Einzigen vereint sind. Es folgt ein Selbstgespräch mit Pilli, in dem DJ T-Ina einen Part, von Erik gesprochen, mit dem Tapedeck abspielt und der andere Part von Erik gelesen wird. DJ T-Ina:" Alright, alright, people we don't wanna get too easy tonight cause you know Neid Magazin flava comming directly at you means: That there is a concentration, relaxing, and that there is something that comes close to your heard. I want to present Mr Karl Böhm with a little freestyle about what poetry means." (...) "... Ich habe alte Platten dabei, aus Plastik und Vinyl, wie diese hier: ... " - Er läßt die Platte vor und zurück unter der Nadel laufen; ein Jungle Beat ertönt, die Platte läuft langsamer ... kommt zum Stehen. "Der Typ kommt aus Köln ... Bleed ... " Die Platte läuft, wird zurückgestoßen, kurz gestoppt und hart die Nächste, laut hörbar nachgeschoben. - "Und diese Platte kommt aus Berlin, Mr Alec Empire." - Stop (die nächste Platte hat den Text: 'Wir erreichen die Junglestadt, wir werden mit unserem Angriff in genau 41 Sekunden beginnen...'). - Sonic Sub Junkies ... - "und diese Platte, sie kommt aus England, - einfache Erkenntnisse." - Plötzlich befinden wir uns in einem höllischen Drum and Bass/Jungle set ... - 'Drum and bass is in the place', - einfache Erkenntnisse. T-Ina greift Herrn Böhm das Mikro weg: "It's a dedication, it's a definition, it's a dictation of our way of living" brüllt sie mit Inbrunst ins Mikrophon. "Berlintown is it rooooling?? You hear the bassline injektor Mr Karl Böhm ...". Nicht nur eine ganze Generation deutsch-sprachig aufgewachsener Leute spricht heute eine Mischung aus englisch und deutscher (u.a.) Sprache, sondern jeder, der in irgend einer Form mit elektronischen oder digitalen Geräten arbeitet, verwendet Ausdrücke, die ursprünglich nur im Englischen gebräuchlich sind. T-Ina:" I'm looking forward to Ina Kurz who came tonight from Hamburg, to teach us how to speak German:" DIE WEG**
DIE ZUNGE
DIE SUMME
DIE DAHIN (...)
DIE GEHT (Es wurden 11 Strophen ausgelassen)
Das Publikum hat nach einer ganzen Reihe weiterer 'Kurzworte' genügend Aufmerksamkeit entfaltet, um nun sich selbst wieder verlieren zu dürfen in den House und Jungle Sets von Miss Luka Skywalker. Freunde aus Hamburg und Berlin legen später Dub und Dancehall auf. Um 5 Uhr morgens stehen wir auf der Straße und halten ein Taxi an. Neun Stunden später ... oder wie Ina Kurz sagt: "Manchmal geht schnell sein ganz langsam."*
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* Ina Kurz, aus: '26 Ameisen', 1994
** Ina Kurz, aus: 'Das Hose und das Kleid', 1996