Claudia Reinhardt

Die Weiber, von welchen hier die Rede, sind nicht böse oder falsch, sie sind sogar gewöhnlich von außerordentlicher Herzensgüte, sie sind nicht so betrügerisch und so habsüchtig, wie man glaubt, sie sind mitunter viel mehr die treuherzigsten und großmütigsten Kreaturen; alle ihre unreinen Handlungen entstehen durch das momentane Bedürfnis, die Not und die Eitelkeit; sie sind überhaupt nicht schlechter als andere Töchter Evas, die von Kind auf durch überwachende Sippschaft oder durch die Gunst des Schicksals vor dem Fallen und dem Noch-tiefer-fallen geschützt werden.
Heinrich Heine

Im folgendem Gespräch interessierten NEID die individuellen Erfahrungen und besonders die Gefühle von Frauen, die in diesem Gewerbe tätig sind. Vorurteile und voreilige Rückschlüsse sollten dadurch möglicherweise aufgehoben werden.

1 Glaubst du, daß die mißliche Lage der Sexarbeiterinnen und deren verzerrtes Bild in unserer Gesellschaft, mit der Angst vor der weiblichen Sexualität zu tun haben könnte?
Es gibt da eine These, die lautet:
"Die Prostitution war ein Befreiungsakt der Männer aus der erotischen Herrschaft der Frau".

Biggi: Die Angst vor der weiblichen Sexualität, ja vor der ganzen Frau, hat sich sicher bei vielen Männern in ihrer Kindheit und Jugend etabliert. Einige reagieren darauf mit Äußerungen, die sie für besonders männlich halten. Mit einer Domina kann die Angst vor der Frau ein schönes Spiel sein, an dessen Ende steht der Triumph über die Angst durch den Orgasmus. Danach plaudert man ein bißchen nett und alles ist wieder im Lot.

Birgit: Was mir dabei einfällt ist, daß die Sexualität der Frau ziemlich geteilt wird. Entweder man ist die Geschäftspartnerin, die Freundin oder man ist eben das Sexobjekt. Oder man ist die Mutter, und das hat dann nichts mehr mit Erotik zu tun. Und Sex kriegt man woanders, nicht bei der Ehefrau. Es ist die Frage, ob in dem Moment, wo die Männer für Sex bezahlen, diese Angst vor der weiblichen Sexualität gebändigt wird.
Auf jeden Fall ist es so, daß da eigentlich die Sexualität gebändigt wird.

Brigitte: Ja, das stimmt. Er gibt so und soviel und bekommt genau das wofür er bezahlt. Er bekommt nie alles und das weiß er natürlich auch. Man läßt sich natürlich nie vollkommen gehen, da gibt es schon eine Kontrolle, eine Beherrschung auf der Seite der Frau. Wobei andererseits die Männer sich eher bei einer Prostituierten gehen lassen, da können sie ihre Phantasien ausleben, was sie sich mit ihren Partnerinnen nicht trauen würden. Sie dürfen dich als Sexobjekt sehen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Birgit: Und was heißt da befreien? Die Männer mußten sich doch nie befreien. Das ist eher ein Machtakt für sie und sie können mit Geld alles erreichen und bekommen, worauf sie Lust haben.
Ich denke zwar auch oft, mein Gott der muß das doch merken, daß das alles nur gespielt ist, aber das scheint den Männern egal zu sein oder sie finden es geil, daß sie Geld auf den Tisch legen und dann passiert das was sie wollen.
Die leben dann in ihrer eigenen Welt mit ihrer eigenen Sexualität.


2 Wie gehst du damit um, daß deine Arbeit völlig männerorientiert ist und du dadurch instrumentalisiert und du zum Objekt gemacht wirst?

Birgit: Also ich muß sagen, als ich mit dem Job angefangen habe, dachte ich, endlich krieg ich mal Geld dafür. Ich hatte früher auch schon Lust auf anonymen Sex gehabt, aber ich hab mich da am Ende immer schlecht gefühlt. Ich dachte immer, ich hab da was von mir gegeben und nichts zurück gekriegt. Ich hab mich schon für Sex interessiert, der nichts mit Liebe zu tun hat und in dem Job hab ich erstmalig gedacht, super, da kann ich meinen Sex ausleben, es ist gleichberechtig. Man kriegt natürlich Sex, ­ klar mal mehr, mal weniger, es gibt attraktive und weniger attraktive Männer, ­ aber es wird bezahlt, das fand ich ganz angenehm. Und der Mann ist für mich auch ein Objekt, es geht um die Sache, es geht nicht um die Person oder Intimität. Er ist genauso austauschbar für mich. Ich hab teilweise die Männer erst wieder am Schwanz erkannt. Ich hab da keine Probleme mit und auch nicht das Gefühl, daß ich ausgenutzt werde, weil ich bestimme, wo es lang geht und wo die Grenzen sind.

Biggi: Als Objekt fühle ich mich sehr selten. Das ist so bei denjenigen, die weder devot noch maso sind und einfach nur eine geilaussehende Puppe wollen, die vor ihnen auf und abtanzt und ihnen einen runterholt. Da können die noch so streng gefesselt sein, letzendlich sind diese Männer eklig.


3 Es herrscht offensichtlich die Vorstellung von einer Geschlossenheit von Körper und Seele. Vor allem der weiblichen Seele. Dazu gibt es auch eine These, die besagt, daß die weibliche Sexualität monogamer Natur sei und sich völlig anders verhält als die männliche Sexualität.
Eine biologistische Auffassung, die von der Gebärfähigkeit auf sexuelle Wünsche Rückschlüsse zieht. Was denkst du darüber?

Brigitte: Erstmal, woher hast du das, daß die weibliche Sexualität monogamer Natur sein soll?

Birgit: Ja, das ist uralt, aber schon immer noch so, weil die Frau gebären kann, ist sie auch fürsorglich und häuslich und sie hat andere Triebe, als die Männer. So behauptet man das jedenfalls.

Biggi: Es ist doch gerade umgekehrt. Gerade weil die Frau gebären kann, kann sie ja umtriebig sein. Männer brauchen die Frauen, um Kinder zu haben.

Birgit: Das ist das Problem, das man immer diese Teilung hat, entweder Mutter oder sexuell aktiv. Das ist unsere Gesellschaft, die monogame Beziehungen fordert, doch ich glaube nicht, daß der Mensch monogam ist. Auf der anderen Seite ist ein Leben, in dem man immer ungebunden ist, ja auch nicht das Wahre. Man sehnt sich ja schon nach Beständigkeit, Vertrauen und so. Ob dabei immer Sex dabei sein muß, ist die Frage.

Biggi: Ja, da gibt es dann immer Probleme. Wenn man zum Beispiel dann zwei Freunde gleichzeitig hat, das funktioniert dann nicht. Man könnte ja theoretisch mehr Personen haben, die einem das Gefühl von Stabilität und Vertrauen geben.

Birgit: Man hat gelernt in einer Monogamie zu leben und man hat Angst jemanden zu verlieren. Man wird immer gezwungen, sich für eine Person zu entscheiden. Das hat mit Familie gründen müssen und sich fortpflanzen müssen zu tun. Klar. Aber das könnte schon alles anders aussehen.


4 Wie ist dein privater Sex? Viele haben ja die Vorstellung, daß Sexarbeiterinnen privat Probleme mit ihrem Sex haben. Keine Lust mehr haben, Männer zum kotzen finden oder sogar frigide sind.

Biggi: Ich trenne meinen Sex total von dem, was im Studio passiert.
Kein Mann und keine Situation dort hat mich je sexuell erregt. Ich habe immer darauf acht gegeben, ob meine Domina-Tätigkeit meine Lust stören könnte.
Das ist nie passiert, sonst hätte ich damit aufhören müssen.

Birgit: Na ja, mein privater Sex ist gleich null, ich bin frigide und finde die Männer zum kotzen. (Lautes, anhaltendes Gelächter). Also gut, ich muß sagen, ich hab ja den Job auch schon gemacht, als ich eine Beziehung hatte und das ging ganz gut soweit. Er hat sich halt da rausgehalten und wollte davon nichts wissen, aber er hatte es akzeptiert. Was mir aber aufgefallen ist, ist, daß, wenn ich diesen Job kontinuierlich mache, ich nicht mehr das Bedürfnis auf One-Night-Stand Geschichten habe. Das wird im Job abgedeckt. Aber, daß ich Männer jetzt scheiße, oder blöd finde, das könnte ich nicht sagen.

Brigitte: Es ist sogar so, daß ich so ein bißchen das Gefühl habe, priviligiert zu sein, weil ich einen Einblick bekomme in die Männerwelt. "Normale" Frauen können das gar nicht. Es ist, als ob du zu einer Mitwissenden gehörst, zu einer Komplizin. So in der Art, bei dir kann ich endlich mal ausleben, was ich immer wollte.

5 Wie ist das Verhalten der Freier dir gegenüber? Behandeln sie dich mit Respekt ohne Vorurteile oder hast du das Gefühl, daß sie dich als Sexobjekt sehen.
Wie empfindest du das?

Biggi: Das ist ganz unterschiedlich.
Es gibt natürlich einige Männer, die Schwierigkeiten mit ihrer eigenen Sexualität haben, Schwierigkeiten mit Frauen haben. Was ich erfahren habe, war, daß sie es schon vollkommen in Ordnung fanden, was ich so mache. Aber manchmal klang schon durch: Wenn du was anderes machen würdest, wäre das schon besser. Das ist natürlich immer nur unterschwellig zu merken, nie so offen, in dem Sinn, du dreckige Hure oder so.

Birgit: Na ja, ich selber bin ja auch so, daß ich denke, wenn man noch was anderes macht, das nur als Nebenjob macht, dann ist das okay, aber mein Gott, die Frauen, die davon leben müssen und das jeden Tag machen, sind zu bedauern. Aber im Grunde ist es ja auch nicht besser, als Verkäuferin oder so zu arbeiten, doch darüber denkt man nicht so.

Biggi: Ich will nicht behaupten, daß das jede Frau machen kann, muß sie auch nicht, aber ich erwarte, daß man diesen Job genauso sieht, wie zum Beispiel den Job der Verkäuferin, die bedauert man ja auch nicht in der Regel.

Birgit: Ja genau. Und man selbst bemerkt diese Vorurteile an einem selber.

Brigitte: Für mich wäre es nichts, als Krankenschwester oder Sekretärin zu arbeiten. Das könnte ich nicht.

Birgit: Ja, wenn der gesellschaftliche Druck nicht wäre, daß man immer wieder zu spüren bekommt, daß das der letzte Job ist, den man da macht, dann wäre vieles leichter. Ich halte das für das eigentliche Problem.

Brigitte: Schon alleine, daß man nicht selbstverständlich sagen kann, daß man diesen Job macht. Das ist schon belastend. Ich fühle mich auch jedesmal, wenn ich was anderes erzähle beschissen, dabei mache ich ja noch was anderes, wie muß es erst für Frauen sein, die nur diesen Job machen.


6 Wie sieht der optimale Freier aus, wie verhält er sich?

Biggi: Der optimale Freier, ­ bei uns im Studio heißt er Gast, hat natürlich keine Geldprobleme. Sympathie ist wichtig, Alter und Aussehen tatsächlich nicht.

Birgit: Ja klar, er gibt Geld und geht. Er hat Geld, ist also nicht arbeitslos und ist super einfach. (Ha, ha. Gelächter...)
Ich finde es immer angenehm, wenn es nicht zuviel wird, d.h. eine Distanz gewahrt wird. Ich will eine Grenze ziehen, ich will keine Freundschaften mit Freiern, ich will eigentlich nicht so viel über denjenigen wissen.

Brigitte: Das ist auch unterschiedlich.
Es sind auch oft die Arbeitsbedingungen, die das bestimmen. Wenn du wo arbeitest, wo du viele Gäste hast und es schnell geht, dann ist der optimale Freier, einfach nur sauber, gut riechend, sympathisch und gut aussehend und Schluß. Es gibt Typen, da dachte ich, Mann, der kann auch eine Holzlatte ficken und das finde ich dann auch ziemlich unangenehm.
Biggi: Nee, das muß es dann auch nicht sein, wenn Männer überhaupt kein Gefühl haben für Frauen, das gibt es auch.


7 Wie stehst du dazu, daß die meisten Menschen sich nicht vorstellen können, daß man als Sexarbeiterin nicht völlig krank wird?
Wie sehen die Belastungen in diesem Job wirklich aus?

Biggi: Wenn ich sage, daß ich als Domina arbeite, kommt eher Bewunderung als Sorge oder Mitleid auf. Belastend finde ich, wenn ich schon so viele "behandelt" habe, daß ich Gesichter und Geschichten vergesse. Manchmal ist es oft harte körperliche Arbeit und auch schmutzig. Ich hasse es Einläufe zu machen.

Birgit: Es ist psychisch anstrengend, weil du mit vielen unterschiedlichen Menschen in engen Kontakt kommst. Sex wird immer mit etwas angenehmen verbunden, aber in dem Job ist das Arbeit, du mußt dich unter Kontrolle haben.

Brigitte: Ich habe ja ziemlich spät in diesem Job angefangen. Ich weiß nicht wie das alles gewesen wäre, wenn ich mit zwanzig oder so das gemacht hätte. Ich glaube schon, daß für junge Frauen der Job ganz schön hart ist, die wissen oft gar nicht, was sie da machen und kommen mit den ganzen Problemen nicht klar. Es sollte so etwas wie eine Beratungsstelle für diese Mädchen geben, das wäre sehr wichtig. Oft ist es ja so, daß sie keine andere Möglichkeit haben, außer die Prostitution.


8 Was würdest du davon halten, wenn es Puffs für Frauen gäbe?
Meinst du, daß das Zuspruch hätte?

Biggi: Natürlich, fände ich sehr gut.
Birgit: Ja, klasse, aber die Typen müßten dann auch wie wir, acht Stunden im Puff sitzen und sich vorstellen und ich sage dann, ja schön, den Henry hätte ich gern.

Brigitte: Ja, ich hab gehört, so etwas gibt es schon in Friedrichshafen.

Birgit: Ich wünsche mir das schon. Nicht, daß dadurch die Welt in Ordnung wäre, aber das wäre ein Schritt für eine Gleichberechtigung. Das ist so wie mit der Quotenregelung, das ist erstmal eine Basis, eine Grundvoraussetzung.

Biggi: Ja, das gibt es ja auch, aber Tatsache ist, daß Frauen immer noch weniger Geld haben, als Männer und viele würden sich nicht trauen, glaube ich.

Brigitte: Jeder Mann kann es sich leisten in einen Puff zu gehen, die gibt es für jeden, billige oder die teuren Clubs. Für Frauen ist das immer noch sehr exklusiv und teuer. Alleinstehende, reiche Geschäftsfrauen können sich das vielleicht leisten und tun das wahrscheinlich, aber das bringt¹s ja nicht.

Birgit: Ich denke aber auch, daß es bei Frauen ein anderes Ding ist, für so etwas Geld aus zu geben. Für Frauen ist es einfacher, in eine Kneipe zu gehen und jemanden abzuschleppen.

Biggi: Na ja, wählerisch darfst du da aber dann auch nicht sein.

Biggi: Ein Freund von mir behauptete, daß es offensichtlich dafür kein Interesse gibt, sonst würde es das schon geben. Aber das glaube ich nicht, denn was ist schon ein echtes Bedürfnis. Es macht sich nur niemand daran, dieses Bedürfnis zu produzieren und zu vermarkten und das hat wohl seinen Grund. Ich glaube, das würde Männer eher stören, wenn Frauen ihren Sex "ausleben" könnten.

Birgit: Hier in Berlin gibt es für Lesben so etwas, aber so weit ich weiß läuft der Laden nicht oder die mußten sogar schon zu machen.

Brigitte: Ja komisch, daß das bei Frauen nicht so läuft, egal ob hetero oder nicht. Da haben wir wieder das alte Klischee, Männer strotzen vor Geilheit und Frauen sind verklemmt oder so.


9 Was sind für dich die negativsten Dinge in deinem Job, was würdest du gerne verändern können?

Brigitte: Naja, daß man es nicht sagen kann, daß man das nicht in die Bewerbung schreiben kann, obwohl man da ja viel gelernt hat.

Birgit: Das ist auch ein weites Feld, denn die Arbeitsbedingungen sind auch sehr unterschiedlich und die Kolleginnen und Chefinnen kosten meistens die meisten Nerven. Ich konnte mir zum Glück immer aussuchen, wo ich arbeiten will und wo nicht.


10 Und umgekehrt, was gefällt dir an deinem Job, was sind die Gründe für dich im Sexgewerbe zu arbeiten?

Biggi: Schnelles Geld und ich bin Verwalterin von Geheimnissen und immer noch scharf darauf. Ich bin wichtig und begehrt.

Birgit: Ich wollte meinem eigenen Sex auf die Spur kommen. Ich war schon immer an anonymem Sex interessiert und da dachte ich mir im Sexgewerbe zu arbeiten ist eigentlich sicherer, als irgendwo in der Nacht irgendwelche Leute aufzugreifen. Und mittlerweile ist das einfach eine Einnahmequelle für mich geworden, wo ich sagen kann, das ist für mich die einfachste Art, nebenbei Geld zu verdienen.

Die Frigidität ist geradezu eine Voraussetzung für das Verhalten der Dirne. Volle Sexualempfindung bindet das Weib an den Mann. Nur wo diese fehlt, vermag das Weib von Mann zu Mann zu gehen, ganz wie der stets unbefriedigte Don-Juan-Typus des Mannes beständig das Liebesobjekt wechseln muß. Wie aber der Don Juan sich an allen Frauen für die Enttäuschung rächt, welche ihm eine, die erste Frau in seinem Leben, zugefügt hat, so rächt sich auch die Dirne an jedem Mann für den Entgang des Geschenks (den Penis), das sie vom Vater erwartet hatte. Ihre Frigitität bedeutet eine Herabsetzung aller Männer und somit im Sinne ihres Unbewußten eine Massenkastration. In den Dienst dieser Tendenz stellt sie ihr ganzes Leben. Die frigide Frau/Dirne ist unbewußt bestrebt, die Bedeutung des Körperteils herabzusetzen, dessen Besitz ihr versagt ist.
Karl Abraham (1890, "Äußerungen des weiblichen Kastrationskomplexes").

Zeichnungen: Kai Dünnhölter;
Fotos: Dirk Rohe