Claudia Reinhardt

Ich bin wie du

Wir sind wie Tag und Nacht
Marianne Rosenberg

Identifizierung findet immer in bezug auf ein Gesetz, oder genauer auf ein Verbot statt, das damit arbeitet, daß es eine Strafandrohung ausspricht. Das Gesetz erzwingt Gestalt und Richtung der Sexualität, aber die Einflößung von Angst.
Judith Butler

You wanna be that swing be
but you can't be
that's why you mad at me
Lil'Kim

Perversion ist, wenn man zum Beispiel eine Frau ist, männliche Wünsche hat und diese zu verbergen sucht. Das antworte ich, wenn man mich fragt, was nun weibliche Perversionen sind, nachdem ich das fette Buch von Louise J. Kaplan "Weibliche Perversionen" gelesen habe. Und weiter: Männliche Wünsche heißt in diesem Fall, Wünsche, die man einer Frau nicht zuschreibt. Richtige Sadistinnen, wie de Sade sie sich wünscht, oder Sexualverbrecherinnen, die kleine Jungs verschleppen, vergewaltigen und irgendwo auf einer Landstraße abstellen, gibt es in der Realität kaum. Perversionen sind keine sexuellen Abenteuer im Dienste der sexuellen Befreiung, sie sind unausweichlicher Zwang und beständig. Und weiter kann von Autoren und Psychoanalytikern, wenn man sie richtig liest, erklärt werden, wie entgegengesetzt die Welten von Perversen funktionieren. Einen schönen Aufsatz darüber gibt es auch von Deleuze im Nachwort von "Venus im Pelz" (von Sacher-Masoch).
Doch zurück zu den weiblichen Perversionen, die, was uns der Titel des Buches schon ankündigt, anders geartet sein müssen, als die der Männer.

Sie zeigen sich nämlich nicht in sexuellen Verhaltensweisen, diese sind sowieso, laut Kaplan, nur vordergründig und dienen als bevorzugter Schauplatz für Männer. Sozialordnung und infantile Vorstellungen von Geschlechtsbildern werden in der Sexualität wirksam und entsprechend als Aktionsfeld für Perverses genutzt. Der Frau steht es nicht zu, sich sexuell aktiv zu präsentieren, eher ist Zurückhaltung, Fügsamkeit und Passivität das Idealbild der Weiblichkeit. Deshalb kommt der sexuelle Schauplatz nur selten bei Frauen vor. Fetischismus, Transvestismus, Exhibitionismus, Voyeurismus, Sadismus und Masochismus sind männliche Perversionen*, phallisch-narzißtische Übertreibungen, die die verbotenen weiblichen Wünsche hinter einem idealisierten Männerbild versteckt halten. Soweit Frau Kaplan. Daß diese Erklärungen zu kurz greifen und so einfach nicht stimmen, ist augenscheinlich und da gerät die Autorin in die gleichen Stereotypen, die sie gerade aufdecken wollte. Diese genannten Perversionen werden wiederum, als Kategorien, Strategien, Verschleierungen oder Manifestationen, ganz richtig von Kaplan erkannt.

Daß das Ausleben von Perversionen bei Männern und Frauen sehr unterschiedlich aussieht ist klar, denn hier geht es um kulturelle Anpassung, gesellschaftliche Auferlegungen und schließlich um politische Konstruktionen. Und diese Strukturen, die nach binären Codes gebildet werden, erzeugen erst Männlichkeit und Weiblichkeit, Normalität und Abnormes. Perversionen entdeckt man bei Männern und selten bei Frauen, wenn man die geläufige Vorstellung von Perversen sich vor Augen hält: Der Sexualmörder, der Vergewaltiger, der Kinderschänder usw.
Dies sind alles männliche Formen der Perversion.

Sieht man sich diese Fälle von perversen Handlungen an, erkennt man, daß es meist um infantile Motivationen geht, also um die Angst vor dem anderen Geschlecht. Muß es aber Angst sein, die uns überfällt bei dem Erkennen, daß es das andere Geschlecht gibt? Muß diese Erfahrung als Kränkung erlebt werden? Der Ausgang dieser kindlichen Episode hängt wiederum von vielen Faktoren ab und deswegen gibt es wohl so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt. Diese Angst, Urszene genannt, erleben männliche wie weibliche Kleinkinder, aber sie wird unterschiedlich sublimiert im Erwachsenleben. Der Gewaltakt eines Lustmörders ist vielleicht Ausdruck von Haß gegen das andere Geschlecht und die Scham, sich mit diesem Geschlecht zu identifizieren, oder es zu lieben. Der Lustmörder ist jemand, der auf der infantilen Ebene hängen geblieben ist und ein grausames Trauma durchlaufen haben muß und weiter in gewalttätigen Handlungen durchläuft .
Aggressivität und Gewalt sind Handlungen, die männlich besetzt sind und somit bleibt die Tat des Lustmörders in den Bahnen der Männlichkeit, womit alles gesagt sein soll und doch unbefriedigt läßt. Denn gerade eine Analyse der Aggressivität und Gewaltbereitschaft auf Seiten der Männer wäre an dieser Stelle von wichtiger Bedeutung.
Will man der Behauptung, nur Männer seien pervers, keinen Glauben schenken, dann ist es nötig, sich die Strategien von Perversionen anzusehen, um herauszufinden welche Bedeutungen sie verstecken. Denn aus der Psychoanalyse wissen wir, daß nichts so ist, wie es scheint und daß das Subjekt uns immer in die Irre führt in seinem Verhalten.
Die Täuschung und die Maskerade sind wesentliche Merkmale der Perversion.

Doch diese Verkleidungen zu enthüllen, um so an den Kern der Sache heran zu kommen, ist ein schwieriges Unternehmen, das sich Kaplan manchmal allzu einfach macht. Sie kommt leider immer wieder auf alte Klischees und Allgemeinplätze zurück. Zum Beispiel, wenn sie sich auf Robert Stoller und (ganz übel) Caesar Lombrosco "Das Weib als Verbrecherin und Prostituierte" bezieht, die die Prostituierte als Opfer deklarieren, das aus Rachsucht an den Männern zum Fetisch wird, um so die Macht über die männliche Sexualität zu besitzen.

Eine interessante Beobachtung hingegen, zum Thema Maskerade, beschreibt Kaplan in den Phantasien der Modeschöpfer. Sie seien die modernen Pygmalions, die Frauen als beschädigte, kastrierte Wesen wahrnehmen. Durch Korsette, Stöckelschuhe und durchsichtigen Blusen zeige sich der unbewußte Haß gegen die Frauen, der sich in der Modebranche Ausdruck verleihe und sich Zugang in die Öffentlichkeit verschaffe. Interessant ist dieses Thema, weil es das Verhältnis von schwulen Männer zu Frauen anspricht.

Doch bleiben wir, um nicht moralisierend werden zu müssen, vorerst noch bei der Frage, wie binäre Codes entstehen.
Perversion ist ein unüberwundener Kastrationskomplex.

Das Urerlebnis (die Erkenntnis, daß ich mit oder ohne Penis ausgestattet bin) ist sich nicht, als ein einmaliger Akt vorzustellen, vielmehr als ein Prozeß, indem das Kleinkind seine Subjektivität erkennt und somit den Kastrationskomplex beschwört. Das kann Gewalt, Haß, Neid und alle diese bösen Sachen erzeugen, doch auch Liebe, Begehren, Melancholie und Sehnsucht.
Der Kastrationskomplex ist eine Erfindung von Freud, um das Problem der Differenz psychoanalytisch überwindbar zu machen. Laut Psychoanalyse ist es ein Trauma, den Unterschied zwischen männlich und weiblich zu erkennen. Weil dem Mädchen ein Körperteil fehlt, wird es entweder denken, daß es dieses Ding mal hatte und es ihr jemand gestohlen hat (das wäre die gesunde Vorstellung und Erklärung für das kleine Mädchen, wenn es ein Selbstwertgefühl besitzen soll) oder es könnte auch auf den Gedanken kommen, daß es dieses Ding einfach verloren hat, das wäre die künstlerische, romantische Perversion. Als letzte Möglichkeit bleibt dem Mädchen noch zu denken, daß der Junge nicht normal ist, weil er dieses Ding besitzt. Was dann? Diese Geschichte muß noch geschrieben werden...

Warum diese Differenz so schwer ertragbar ist, hat wiederum mit Narzißmus und Gesellschaft zu tun. Die herkömmliche Darstellung des weiblichen Kastrationskomplex ist ein Beispiel dafür, wie infantile Phantasien über die Unterschiede zwischen Penis, Klitoris und Vagina im Erwachsenen fortbestehen. Die Verleugnung und Ignoranz eines weiblichen Begehrens wird durch die Erfindung des Kastrationskomplex manifestiert. Soziale Konventionen werden damit gerechtfertigt und kulturelle Mythen von der biologischen Minderwertigkeit des Weiblichen und der damit einhergehenden Minderwertigkeit des weiblichen Sexualorgans weiter etabliert. Der Kastrationskomplex, den ich als gesellschaftliches Konstrukt verstehe, kann in blutige Rache ausarten. Kein Wunder. Eine Kastrationsdrohung, ist schon ganz schön hart zu sublimieren, daß diese blutige Szenarien
hervorruft, ist leicht vorstellbar.
Aber Frauen verstümmeln selten Männer - eher sich selbst. Ihre Angst scheint sich gegen sich selbst zu richten. Wenn sie schlau sind, tarnen sie die Lust an der Destruktion des Männlichen, phantasieren und träumen stattdessen von Unfällen, wo Vater, Bruder oder Sohn ums Leben kommen. Die Betonung von sterotypen Verhaltensweisen dient als Tarnung dessen, was als verbotenes gegengeschlechtliches Verlangen erlebt wird. Deshalb töten Frauen selten aus Lust.
Sie suchen sich eher einen Krüppel, den sie pflegen, werden Krankenschwestern oder Nutten und können so, in einer weiblichen Rolle, Macht ausüben**

Die erste Perversion (die Krankenschwester) ist unscheinbar durch ihre Verkleidung und ihren sozialen, gesellschaftlichen Status, die zweite Variante (die Nutte) ist pervers, weil sie männliche Macht besitzt und unmoralisch ist. Und es gibt den Mythos der heiligen Prostitution, womit gesagt sein soll, daß die Prostituierte zwar ein anschauliches Beispiel für Macht in weiblichen Sphären darstellen kann, doch als perverse Strategie nur bedingt Gültigkeit besitzt. Die Selbstdestruktion, oder phantasierte Destruktion, ist auch wieder nicht von den normativen Geschlechterrollen zu trennen. Wir befinden uns schon im Erwachsenleben und haben die Codes schon in uns. Früher, als man noch eindeutiger männlich und weiblich unterschied und Frauen alle das gleiche machten, nämlich kochten, einen Ehemann fickten und Kinder bekamen, nannte man nörgelnde Frauen am Kastrationskomplex (für weibliche Menschen, Penisneid genannt) leidend. Früher konnte eine Frau, wenn sie sich in ihre weibliche Rolle fügte, angeblich den Phallus ergattern.

Höhepunkt in dieser Karriere und gelungenes Ende der Qual einen Phallus haben zu wollen, war ein Kind mit einem Penis.

Der Wunsch nach dem Phallus, der nicht der Penis ist, wurde zu Zeiten Freuds als der Wunsch nach dem Kind ausgelegt und heute als Wunsch nach dem ordinären Schwanz gedeutet. Doch, wie Kaplan zu Anfang schon zitiert wurde, ist das, was greifbar ist, nicht das, worum es geht.

Im eigentlichen Sinne gibt es keine Perversion, die sich darstellt, sie ist Strategie und Maskerade, die Krücke, die den wirklichen Schmerz in Zaum hält.

Anmerkungen:
* Zu dem Problem des Begriffs 'Perversion' hier die Erklärung im Lexikon: Pervers: verdreht, andersartig veranlagt, von der Norm abweichend; - schließlich sind Mörder, Vergewaltiger usw. auch Perverse, ich benutze den Begriff, wie er im Lexikon steht, nicht abwertend aber auch nicht so überschwenglich, wie zum Beispiel "Queer", was ja auch mit verdreht, andersartig übersetzt werden kann. Aber Schwule, Lesben, Sados, Masos sollen nicht mit Vergewaltigern und solchen Typen gleich gesetzt werden. Perversion ist schlicht und einfach abnormes Verhalten, ob das gut oder böse ist und was das ist, wird von mir nicht in diesem Text behandelt .
** Siehe auch Louise J. Kaplan: "Weibliche Perversionen", S.197, Kapitel: 6 "Weibliche Stereotypen und die weiblichen Perversionen"

Foto "wheelchair" (Claudia Reinhardt);
Dank an Harry Haas und Corianna Weidner