KLANGGESCHICHTE Musik vor hundert Jahren: von der Geige zur Oboe, von der Pauke zur Posaune - in dieser armseligen Klangwelt waren die Musiker damals gefangen. Zur Strafe mußten sie den ganzen Tag Tonleitern rauf und runter spielen und Kadenzen auflösen. Wegen der daraus resultiernden Lustlosigkeit groovte die Musik dann auch nicht richtig. Heute dagegen ist das alles anders. Mit der Groovebox z. B. macht das Musikmachen wieder richtig Spaß. Die Kiste groovt von selbst und produziert geile Sounds bis zum Abwinken.
Nach dem zweiten Weltkrieg begannen innovative Unternehmer in den USA, den Massenmarkt für elektrische Musikinstrumente zu erforschen. Die Kinoorgel war zu diesem Zeitpunkt längst passee und die Versorgung der Kirchen mit elektrischen Hammonds und Wurlitzern allein bot keine langfristigen Geschäftsperspektiven. Um neue Märkte zu erschließen wurde das Musikinstrument zum Musikspielzeug gemacht. Musik nach Farben: einfache Spielhilfen auf der Tastatur der Heimorgel waren die Antwort der Musikinstrumentenindustrie auf ein Problem das sich bald einstellte. Den glücklichen Gesichtern der Kinder, die auf den Werbeprospekten strahlten, konnte in der Wirklichkeit nicht immer entsprochen werden. Denn das Treffen der richtigen Tasten bereitete manchmal doch mehr Schwierigkeiten als vom Hersteller vorhergesehen. Automatische Rhythmus- und Akkordfunktionen waren zwar als Motivationshilfe gedacht, doch bewirkten sie oft das Gegenteil. Wenn statt nur einer falschen Note nun immer gleich die ganze Begleitautomatik nach hinten losging, ließen so manche entnervten Eltern das Gerät bald wieder aus ihrer Wohnung entfernen.
SOUNDRECYCLING Bei diesen Marktstrategien wurde jedoch eines übersehen: eigentlich braucht kein Mensch neue Klänge, wenn es schon genügend alte gibt. Die in den letzten 50 Jahren aufgenommenen Tonträger stellen ein Soundreservoire ohne gleichen dar. Heute wird es immer schwieriger, dem Käufer klarzumachen, warum er eine überteuerte Sampling-CD mit mittelmässigen Sounds kaufen soll, wenn er schon 500 Audio-CDs mit wesentlich besseren zuhause hat. Niemand weiß wieviel Datenspeicher heute schon in Studios mit überflüssigem Soundmüll verstopft werden. Ein Berg von digitalem Datenschrott türmt sich auf einen älteren analogen.
Der Sampler als Recycling-Maschine hat in den Achtzigern einen zweifelhaften Ruf abbekommen und befindet sich damit in Gesellschaft der hinlänglich bekannten Bio-Nepp und Öko-Fake-Wellen. Im Extremfall wurde er zur Wunderwaffe der Hit-Strategen, Ausdruck der noch dominierenden fordistisch-industriellen Denkweise im Musikbusiness. Die Unkalkulierbarkeit des Publikumsgeschmacks, notorisches Problem der fordistischen Musikindustrie sollte in deren Visionen mit Hilfe des Samplers ausgetrickst werden: der Hit vom Reißbrett, systematisch zusammengestückelt aus den erfolgsträchtigsten Ingredienzien vergangener Hits. Mit Recycling hat das soviel zu tun wie ein Antiquitätenladen am Kudamm mit dem Einmarksparadies vom Moritzplatz. |
Ebenso unvereinbar ist effektives Soundrecycling mit dem Verfahren mancher Sampling-Künstler, die den Sampler als Zitiermaschine benutzen. Das Wissen um die Herkunft der Quellen darf keine Voraussetzung für das Verständnis von Recycling-Musik sein. Sie sollte zwar recherchierbar bleiben, jedoch würde ein ausdrücklicher Verweis auf die Quelle immer den Eindruck erwecken, als wolle man an ihrer kultureller Bedeutung teilhaben. Deren Celebrität ist für Recycling-zwecke völlig unwichtig. Sound-Recycling erfordert vielmehr einen Zustand weitgehender kultureller Entwertung, der eine Neuaufladung möglich macht. Entsemantisierung ist die Voraussetzung für die Wiederverwertung zur Erzeugung neuer Klanggebilde. Bevorzugt zu samplen ist daher Musik, die bereits mindestens einen Verwertungskreislauf durchlaufen hat und an der momentan keine weiteren Verwertungsinteressen bestehen.
Die ökonomisch-technologische Grundidee von Techno beruht auf der Zweckentfremdung von Musikspielzeug. Consumer-Elektronik wird als Produktionsmittel mißbraucht. Ihre einfache Bedienbarkeit, die ursprünglich als Werbemaßnahme zur Erschließung neuer Konsumentenschichten gedacht war, ermöglicht nun die hocheffektive Musikproduktion im Wohnzimmerstudio.
Mit der Produktion eines Musikstücks ist der Recyclingvorgang jedoch noch keineswegs abgeschlossen. Seine letzte Phase geschieht im Gehirn des Hörers, das erst die eigentliche Klangverschmelzung vollzieht. Es folgt dabei dem Drang, willkürlich zusammengefügtes als sinnvoll zusammengehörig zu interpretieren und meint aus einem Klanghorizont aus Unschärfe und Rauschen immer wieder neue Gestalten herauslesen zu können. Dies bewirkt eine Stimulation des Wahrnehmungsapparates, die von den meisten Hörern als angenehm empfunden wird. Da der konkrete Sample-Mix jedoch das Produkt der Wahrnehmungsfilter im Gehirn des Sampling Artist ist, wird dem Hörer automatisch eine invertierte
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