Heiko Wichmann

Während mit internet
(auf Information reduzierte Kommunikation)
und raving
(auf beats und sounds reduzierte Musik)
die geistige Extase gefeiert wird,
meldet sich im clubbing
der Körper als molekulares Fluidum
zurück.

Clubbing gibt es schon lange, aber die sozialpsychologische Funktion unterliegt einem permanenten Wandel. Sicherlich ändert sich mit der eigenen Biographie und dem individuellen Älterwerden auch die Einschätzung dieser im allgemeinen als Jugendkult begriffenen Aktivität. Im Grunde genommen gibt es allerdings gar kein richtiges Alter für das Verständnis von clubbing: Entweder man ist zu jung, und kommt nicht rein, oder man fühlt sich zu alt für den "Zirkus", oder man weigert sich allgemein, sein Erscheinen den Konkurrenzkriterien von Jugendlichkeit und Attraktivität zu unterwerfen.

Meine Überlegungen zum Thema "Clubbing" setzen beim technischen Vergleich von body workout im training center und disco freak out ein. Im einen Fall handelt es sich um verabredungstechnisches, im anderen um ritualisiertes Verhalten. Die Atmosphäre im fitness center ist wesentlich stärker von Konkurrenz geprägt als es die illusorischen vibes im Club sind. Und die erzeugte Energie ist umso geringer und fadenscheiniger. Indem das clubbing von seinen illusionistischen Elementen befreit und zur Zweckveranstaltung degradiert wird, können stimulierende Impulse nicht mehr greifen. Anstelle von Trance macht Müdigkeit das Ziel der Übung aus.
Echtes Clubbing ist nicht durch Illusionen um die Wirklichkeit betrogenes Victim-Dasein, sondern die Pulverisierung des individuellen Daseins im pulsierenden Wackelpudding. Clubbing ist vielleicht ein Ritual, es ist sicherlich keine verabredete Gewohnheit. Insofern unterscheidet es sich nicht vom raving. Im Unterschied zum rave als einer Art Festival für alle existieren im clubbing allerdings Distinktionskriterien. Die Welt dort draußen ist ausgeschlossen in diesem kollektiv belebten Weltinnenraum. Erinnerungen an Isolation oder Schikanen der alltäglichen Existenz werden an der Garderobe abgegeben. Die Sonne rotiert und schickt bunte Strahlen kreuz und quer. Alle Beteiligten haben sich auf die Herrschaft der Illusion über die Realität geeinigt - was natürlich nur eine Illusion sein kann. Nicht nur in dem Sinne, daß im Hintergrund immer irgendwelche Betreiber oder Veranstalter sitzen, die schon ihre Kohle machen (reich an Finanzen wird in dem Metier niemand wirklich), handelt es sich um eine illusionäre Veranstaltung: Wünsche werden augenblicklich wahr, um den Preis ihrer Verwirklichung (Revolte, Sexualität, Glamour). Die Traumpfade der Intuition weisen den Weg. Der unity-Zug jeden echten clubbings wird gebrochen durch das Paradox der Singuralisierung in der Masse. Verschwörung und Verführung haben Vorrang vor der Banalität von sogenannter Faktizität. Ein süßer Vogel namens Desire hebt an zu seinem Flug über die Wüste. Freedom's just another word for nothing left to do, heißt die Devise der Zeittotschläger.

Der Mittelpunkt des Geschehens spielt sich im Club immer in der Ferne oder an den gerade eben noch wahrgenommenen Randzonen ab. Kleine Details ziehen immer wieder erneut die Aufmerksamkeit auf sich und stellen sich als eigene Welt dar. Die Gesetze der Schwerkraft werden ad absurdum geführt. Kein Staatsballet wird jemals die schwebende Grazie eines Discotanzes einstudieren können. Der von Simon Reynolds sehr schön und zutreffend geschilderte Nililismus des Nachtlebens, fröhliche Verantwortungslosigkeit in Bezug auf soziale Beziehungen und die Atmosphäre von Intimität und Brüderlichkeit können sich nur behaupten, wenn die Akteure Lichtjahre voneinander entfernt ihre Bahnen ziehen.
In Clubland gibt es nur Freunde. Einige Artgenossen treten zwar als Störenfriede oder unliebsame Erinnerungen auf, aber die herrschende Solidarität des Wackelpuddings setzt auch diese Spannungen sofort in freie motorische Impulse um. Right time? right place? sind die einzigen Fragen, die über die Zugehörigkeit zur kulturellen Avantgarde von Club Culture entscheiden. Die subkulturelle Haçienda ist eine Welt der seltsamen Attraktoren: Die gleiche Versuchsanordnung produziert unterschiedliche Resultate. Jedes Ereignis ist im einzelnen vorhersehbar, während im Ganzen das Chaos regiert. Die Unterschiedlichkeit der Erlebniswelten vereint die Clubgänger.
Stempeltätowierungen kursieren als Erkennungszeichen unter den Eingeweihten, als Zeichen einer hart erkämpften alternativen Fitness. Die Solidarität der Clubgemeinschaft kann neben ihren körperertüchtigenden auch in ihren religiösen Ausprägungen betrachtet werden. Oftmals wird das Clubleben als moderner spiritueller Kirchengang oder auch als Totentanz begriffen - und die Institution organisiert rasch Reterritorialisierungen. Die Baudelaire'sche Überschreitung soll auf ihre rationellen Aspekte zurückgestutzt werden. Die Heiligen der Nacht erscheinen jedoch nur im moralisch unentschiedenen Licht des clair-obscur.
Die Entrücktheit und die Verwundbarkeit im Attraktorengeflecht des Clubs wird durch die Entfernung gemildert. Während im Tagesleben dermaßen massiv ausgelebte motorische und seelische Affektivitäten das Leben der anderen zur Hölle machen können, ist im musikbeherrschten Vakuum alles glorifiziert. Magersucht und intergalaktische Anrufungen sorgen für bizarre Unterhaltung. Ohne daß die Akteure von den Prozessen Kenntnis erhalten würden, werden informelle Signale ausgetauscht, die das immer zweifelhafte Gefühl der Zusammengehörigkeit verstärken.
Das ist das Interessante am Ausgehn. Sowas kann passieren, wenn sich die Zeit in der Monotonie des Augenblicks dehnt; Virtualität und Realität werden ununterscheidbar, wenn man sich als Gehörloser ganz den weichen Bewegungen der Körper und freundlichen Strömungen der Menge hingibt.

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