Ulmann-M. Hakert

Interview mit Stefan Etgeton

Bundesgeschäftsführer der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH)

Für die Ausstellung "D&S" im Rahmen des "Hamburg Projekts 1989" entwarf General Idea die Aluminiumskulptur AIDS. Sie wurde nur vorübergehend an dem dafür vorgesehenen Standort in der Fußgängerzone der Mönckebergstraße aufgestellt, denn die Hamburger Kunstkommisson lehnt einen Ankauf ab. Im August 1997 wurde Skulptur für die Ausstellung "Bridge / The map is not the territory" auf der Hamburger Fleetinsel wieder installiert. ZU diesem Anlaß führte Ulmann-M. Hakert, ehemaliger Redakteur von aktuell - Das Magazin der Deutschen AIDS-Hilfe, ein Gespräch mit Stefan Etgeton, dem Bundesgeschäftsführer der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH).

UMH: Du sagst, daß die Präventionslogik und eine bestimmte ästhetische Logik unvereinbar sind. Ein Beispiel ist für dich der Werbespot, den Emir Kusturica, bekannt durch seinen Film ""Underground", für die Frankfurter AIDS-Hilfe machte. Was geschieht da?

SE: Ein Bus voller Menschen führt durch mehrere Tunnel. Jedes Mal wird es dunkel, im Dunkeln verschwinden nach und nach einzelne Reisende oder Gruppen von Leuten. Das wiederholt sich so oft, bis der Bus fast leer ist. Es wird also sukzessive eine unsichtbare und unerklärliche Bedrohung aufgebaut. Dann brechen drei Slogans in die Szene: Aids ist immer noch tödlich! Nichtstun ist krank! Helfen Sie der AIDS-Hilfe!
Da wird auch versucht, die Spannung zu lösen. Mit der Aufforderung "Helfen Sie der AIDS-Hilfe!" wird ein Ausweg angeboten, aber dennoch wird eine Ästhetik des Schocks bemüht. Der Film arbeitet mit dem Angstmoment und ist ganz auf die Bedrohung durch Aids ausgerichtet.

UMH: Vor allem wird keine individuelle Möglichkeit angeboten, mit der Bedrohung umzugehen.

SE: Ja, nichts, um mit dem Risiko der Infektion umzugehen - individuell umzugehen. Bei den der Präventionslogik entsprechenden Kinospots ist das anders. Das Angstmoment wird stärker in den Hintergrund gerückt, wenn sie ühaupt zum Tragen kommt, und es werden eher spielerische Formen des Umgangs mit dem Kondom, mit Promiskuität oder mit Liebe vorgeführt. Das ist unter dem Gesichtspunkt der Prävention sehr viel schlüssiger und erfolgreicher: weniger das Bewußtsein anzusprechen, aber das Thema Aids immer wieder zu plazieren und es zugleich zu entdramatisieren.

UMH: Du hältst also in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Aids jene ästhetische Logik für ungeeignet, die auf den Schock zielt. Aber bei der Plastik von General Idea, hat doch die Provokation gar nichts mit Prävention zu tun. Das Ziel ist nicht, individuelles Verhalten zu beeinflussen, sondern es geht um gesellschaftliche Zusammenhänge. Das dichte Schweigen über Aids soll aufgebrochen werden, indem das Logo A-I-D-S im öffentlichen Raum - ursprünglich neben einem Fastfood-Restaurant in einer Einkaufsstraße in Hamburg - plaziert wird. Die Angst, mit der das Thema Aids besetzt ist, wird dadurch sicher nicht ausgeräumt. Das wäre das Ziel einer Prävention, die auf Risikomanagement ausgerichtet ist. Aber als die Arbeit 1989 erstmals aufgestellt wurde, ging es darum, daß Aids weder als Problem noch als Bedrohung ausreichend wahrgenommen wurde.

SE: Das habe ich in Deutschland nie so wahrgenommen. Im Gegenteil, hier wurde - nach meiner Ansicht - gerade über Aids sehr viel geredet und zu viel geschwätzt - in Medien, Talkshows etc.. Mancher ist nicht müde geworden, seine persönliche Angst in die Welt zu blasen. Das mag in bestimmten Bereichen anders gewesen sein, aber über keine Krankheit ist in den letzten fünfzehn Jahren soviel geschrieben, geredet, diskutiert und Öffentlich gestritten worden wie über Aids. Das Komische an so einer Arbeit wie der von General Idea ist doch, daß das Schweigen über all die Themen, die mit Aids verbunden sind, wie Tod, Rausch, Lust oder etwa Promiskuität, davon gar nicht berührt wird.

UMH: Indem das Schriftbild AIDS von General Idea auf das LOVE Robert Indianas von 1966 rekurriert, sind doch zumindest Themen wie Rausch und Lust angesprochen.

SE: Aber als ein politisches Signal, würde die Behauptung unterstützt, daß mit Aids sozusagen die sexuelle Revolutionbeendet wurde - Aids sei die sexuelle Konterrevolution. Wenn nicht gar die Vorstellung dahinter steht, man habe es mit der
sexuellen Freizügigkeit doch etwas zu weit getrieben und jetzt kommt Aids statt Love. Diese fatale Interpretation liegt auf der Hand, auch wenn wir davon ausgehen, daß es so nicht gemeint war. Das Problem einer solchen Parodie ist, daß sie politischen Schaden anrichtet.

UMH: Vielleicht ist Aids nicht nur ein negatives Gegenbild zu Love. Ein paradoxer Gedanke ... aber wenn diese Arbeit heute wieder aufgestellt wird, wo man unter dem massiven Eindruck von Entwarnung beginnt in der Vergangenheitsform über Aids zu reden, dann wird die Plastik als Denkmal gesehen, das an die Krise und ihre Opfer erinnert. Als ein Mal kollektiven Erinnerns würde sie eindeutig etwas Positives.

SE: Und wiederum das Gegenteil, denn wenn du sagst ein Mal kollektiven Erinnerns an die Opfer, die gestorben sind, dann ist es auch die Grabplatte potentiellen Vergessens der Opfer, die noch krank werden und sterben. Wir sind uns wohl einig, daß die Entwarnung ein Irrtum ist.

UMH: Dennoch gibt die erneute Aufstellung der Plastik dem Betrachter die Möglichkeit eine Distanz zu gewinnen und sich nicht nur erschrecken zu lassen.

SE: Es wird deutlich, daß Aids eine Geschichte hat - und sicher auch noch eine haben wird. Ich meine dennoch, daß Aids in den vier Buchstaben nicht angemessen repräsentiert wird. Diese Form erinnert mich an die in den 80ern von der Bundesregierung an sämtliche Haushalte verteilte Broschüre. Auch in der Tagesschau tauche dieser Schriftzug immer wieder auf, wenn es um das Thema Aids ging. Diese komischen Buchstaben mit diesen sonderbaren Schatten, die so bedrohlich wirkten und allein durch die Abstraktion etwas Beängstigendes ausstrahlten. Dem hielt die Aids-Hilfe konkrete Bilder vom Sterben an Aids und vom Leben mit Aids entgegen. Heute haben die Bilder vom Leben mit Aids noch größere Bedeutung gewonnen.
Ich würde von einer künstlerischen Auseinandersetzung mit Aids eher erwarten, daß sie um existentielle Fragen bemüht ist: Tod, Rausch und Lust. Oder mit dem sich befasst, was durch Aids zerstört wurde - etwa die sexuelle Unbefangenheit.

UMH: Aber gerade das wird doch im Bezug auf Robert Indianas LOVE thematisiert. Da fällt mir sofort die Szene aus Antonionis Film "Zabriskie Point" ein, in der sich ein Paar im Freien liebt und plötzlich vermehren sie sich und unzählige machen Sex miteinander - eine große Welle von Liebe, Sex und Rausch. Antonionis politische Botschaft ist die Unbefangenheit. Und General Idea ersetzte das Wort Love durch eine medizinische Abkürzung...

SE: ... und was bleibt dann? Darum geht es doch. Ich würde von Kunst erwarten, daß sie einen Protest formuliert, gegen das Kalkül in der Liebe, daß sie eine Gegenlogik zur Präventionslogik aufbaut. Wir, das heißt die DAH, müssen - ob wir wollen oder nicht - Momente von Kalkül, von Vernunft, von Rationalität in den Rausch und in die Lüste einschreiben. Auch wenn wir das auf eine Weise tun, mit der wir hoffen, den Kern der Lüste und des Rausches retten zu können. Nicht indem wir da einen Gummi drüber ziehen, sondern indem wir auch über Sinnlichkeit und sinnliche Wünsche insgesamt sprechen.
Aber schon das bloße Reden, noch ohne jeden Appell, befördert im Foucaultschen Sinn die Diskursivierung des Sexes. Und von Kunst würde ich dazu gegenläufige Bilder erwarten.

UMH: Wenn General Idea das Wort Love durch ein medizinisches Kürzel, Acquired Immunodeficiency Syndrom, ersetzte, kann das doch sicher auch als Protest verstanden werden.

SE: Ja, vielleicht ist es sogar das konsequentere Bild, weil es keine Bilder macht, sondern weil es negativ das festhält, was verloren ist. Vielleicht habe ich zur Pop-art zu wenig Beziehung. Für mich sind das keine sinnlichen Bilder, sondern wirklich Straßensignale oder Schilder.
UMH: Damit sprichst du ein heiß diskutiertes Thema in der Kunst zu Aids an. Eine der Aktionen von ACT UP New York, in der sich bildende Künstler zusammengeschlossen hatten, richtete sich gegen eine Fotoausstellung im MOMA, die Nicholas Nixons Porträts von Aidskranken zeigte. Es wurde gegen die Viktimisierung protestiert, gegen eine Darstellung von Aidskranken als arme, elende Opfer. ACT UP, General Idea oder Group Material arbeiteten lieber mit Schrift und Signalen. Es ging nicht darum, Mitleid zu erregen. Sondern gerade über kognitive Wahrnehmung wurden sinnliche Verluste einklagt, statt mit Bildern Sinnlichkeit falsch zu bedienen.

SE: Sicher ist es problematisch Bilder des Verfalls mit Aids zu koppeln. Der Verfall findet auch ohne Aids statt, und die Hervorhebung des Bezugs auf Aids hat etwas Voyeuristisches. Aber ist das Problem nicht, Aids überhaupt als ein gesondertes Thema zu fassen? Ich finde zum Beispiel in dem Film "Ein Z und zwei Nullen" von Peter Greenaway, wo es nicht um Aids geht, sehr viel zu diesem Thema - etwa in den Bilder vom Verwesen im Zeitraffer. Zeitlichkeit, ein beschleunigter Verfallsprozess, das sind wesentliche

UMH: Deinen Erwartungen an eine ästhetische Reflexion von Themen wie Körperlichkeit, Trauer, entsprächen demnach die Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres. Bei seinen Bonbon-Aufschüttungen geht es um die Erinnerung, etwa an den verstorbenen Liebhaber oder den verstorbenen Vater. Im Schwinden der Häufen, von denen sich der Besucher bedienen darf, sind Verlusterfahrung angesprochen, aber diese sind nicht nur auf das Sterben an Aids zu reduzieren.
Dennoch hat sich Felix Gonzalez-Torres parallel bei ACT UP und Group Material engagiert. Für jene geht es wie für General Idea primär nicht um individuelle Erfahrungen, sondern um Aids als gesellschaftliches und politisches Phänomen. Mit dem Zitat von Robert Indiana verweist die Skulptur AIDS von General Idea nicht auf die persönliche Bedeutung von Trauer, Verlust, Körperlichkeit oder Sinnlichkeit, sondern auf eine gesellschaftliche Utopie. Und natürlich geht die Ersetzung durch AIDS ins Leere. Die politische Botschaft von LOVE hat längst vorher jede Bedeutung verloren, spätestens seit durch Foucaults Kritik die überkommene Idee sexueller Unterdrückung obsolet wurde.

SE: Aber was bleibt, wenn man die Utopie so parodiert? Wird da nicht einfach nur - was in den 90er Jahren ohnehin passiert ist und in den 80ern schon angefangen hat - die endgültige Entsorgung des utopischen Gedankens betrieben? Das geht ja doch alles nicht. Und Gott sei Dank gibt es Aids, das uns auch noch eine Rechtfertigung gibt, daß wir an dieser Utopie nicht mehr arbeiten müssen.

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