Alexandra Filipp
Das alleinstehende Haus
Als erstes ist zu sagen: Ich hasse Pflanzen. Das mag von Erfahrungen aus meiner Jugendzeit herrühren, als mich mein Großvater jedes Wochenende dazu verpflichtete, sein Gewächshaus zu versorgen, weil er dann auf Zechtour ging. Nie konnte ich mit den anderen zum Schwimmen, Ballspielen, ins Kino gehen. Als ich in die Pubertät kam, dachte ich, das Leben würde an mir vorübergehen und mich nicht im mindesten beachten, weil ich zwischen den Blumentöpfen saß und nicht in der Disco. Zum Glück ist Großvater in meinem 17. Lebensjahr verstorben. Er hat sich im Suff das Genick gebrochen. Von da an begann mein Leben.
Und wie das Leben im Allgemeinen so ist, begab es sich wesentlich schlichter, als man sich das zu Anfangs vorgestellt hat. Alle meine Träume von einer gesicherten Existenz wurden Stück für Stück demontiert, vom Leben. Ich hatte also die Bestimmung,meine Jahre als eine absolut belanglose, nichtsnutzige, parasitäre Existenz zu verbringen.
Diese Erkenntnis habe ich in meinem 32. Lebensjahr gewonnen, nach unzähligen Reinfällen, Fehlstarts und Abstürzen. Es ist ein Wunder, daß ich überhaupt so dastehe, wie es im Moment aussieht. Nicht immer hatte ich ein Dach über dem Kopf. Nicht immer Kleidung und zu Essen. Aber immer hatte ich jemanden, der mich lieben wollte. Das war in sexueller und finanzieller Hinsicht stets mein einziges Glück gewesen.Ohne den Strich wäre ich verhungert und ohne Liebe verdurstet.
Jedenfalls wohne ich im Moment in einem dreckigen, aber großen Zimmer. Dreckig, weil das Wasser von den Wänden läuft, die Sanitäranlagen kaputt sind und der Mülleimer ständig überfüllt ist. Außerdem machen die elf freilaufenden Meerschweinchen einen Haufen Dreck, aber ich kann kostenlos hier wohnen, mit freiem Zugang zum Dach, wenn ich die Miete von den vier anderen Mietparteien im Haus eintreibe. Sie sind die letzten von 24 Mietparteien.
Es ist ein Geisterhaus, und ich habe nie danach gefragt, wie das kam. Das letzte Haus eines ganzen Blocks,der systematisch eingerissen wurde. Ich trieb mich in den letzten Jahren viel in dieser Gegend herum. So ist mir die Entstehung dieses Areals nicht entgangen. Als ich die Wohnung und den Job bekam, standen noch zehn vereinzelte Häuser und nun nur noch dieses. Niemand wohnt in 500 m Umkreis.Nichts gedeiht hier, nur die Ratten.Tag für Tag wache ich auf und frage mich, warum ich auf diesem Friedhof wohne. Aber allein in feuchten vier Wänden ist es immer noch besser als im Asyl oder U-Bahnschacht.
Mein Tagesablauf sieht so aus, daß ich als erstes versuche, so viel wie möglich vom Tag zu verschlafen. Denn bei Tageslicht ist das Zimmer nicht zu ertragen, ebenso der Ausblick aus dem Panoramafenster. Dieses genieße ich aber umso mehr bei Nacht, wenn die Lichter der entfernten Straße und des Flugverkehrs mein Fenster wie einen bunten Sternenhimmel beleuchten. Wenn ich dann was zu Kiffen habe, bin ich glücklich.
Dann denke ich, warum sollte ich woanders hinziehen wollen, denn wenn die Strahlen der Discokugel über die nass glänzenden Wände ziehen, ist meine Welt perfekt. Hier auf diesem leeren Gelände liegt der Mittelpunkt der Welt. Genau hier auf meinem Sofa.
Mein Sofa besteht aus 100 Kanaldeckeln, übereinander als Lehne, als Sitzfläche, als Podest. Nacht für Nacht gehe ich über die weite Fläche um mein Haus. Täglich in eine andere Himmelsrichtung und trage, besser gesagt rolle, einen Kanaldeckel nach dem anderen nach Hause.Für dieses Hobby gehe ich seit Jahren ins Fitnesscenter. Statisch ist das Kanaldeckelsofa kein Problem, denn das Haus ruht ohne Keller auf einem Betonfundament. Einmal haben sie mich erwischt, aber ich konnte ihnen erzählen, daß ich in psychatrischer Behandlung wäre. Ich hatte mir diese Form eines Sofas das ganze Leben gewünscht und an diesem Ort konnte ich ihn verwirklichen.
Wieder einmal bin ich auf den kalten Kanten entschlummert, und die Ziegelwand links von mir ist rot und feucht glänzend wie immer.......Aus gelbem Nebel erscheint der Umriss einer Frau. Sie geht vor mir her und steckt Ranken in die Wände...Ich befühle die Blätter und weiß, daß sie echt sind. Ich verfolge den Umriss der Frau nach draußen und um das Haus herum. Wir befinden uns in einer Wüste. Ringsherum nur grauer Horizont. Ich sehe noch, wie sie eine Treppe in die Erde hinabsteigt. Dorthin will ich ihr nicht folgen. Als ich mich umdrehe, kippt das Haus zur Seite und versinkt ebenfalls in einer Staubwolke im Erdboden. Ich stehe alleine in der Wüste, neben mir ein Kaktus, über mir der blaue wolkenlose Himmel, es ist heiß und windig und ich bekomme furchtbaren Durst..........
Ich erwache vom Geräusch der gurgelnden Leitungsrohre - die Gingers duschen - Jeden Morgen um halb acht wache ich davon auf, dann dauert es ein bis zwei Stunden bis ich mich wieder in tiefen Schlaf bis drei Uhr nachmittags versetzen kann. Ich habe mir deswegen sogar schon die andere Parterrewohnung angesehen, aber die ist noch verwahrloster als meine, hat kein Panoramafenster, und die Mühe alle einhundert Kanaldeckel rüber zu schaffen, laßen mich die morgendliche Störung ertragen.....
Aber heute erwache ich auch von dem brennenden Durst in meinem Mund. Ich schlage die Augen auf und erblicke über meinem Kopf eine giftgrüne Efeuranke, die aus dem dicken Riß in der Decke über meinem Sofa scheinbar wächst. Ich sage scheinbar, denn im ersten Moment denke ich, es ist eine Plastikranke, die irgendjemand dort drapiert hat. Ich versuche also sie aus der Decke zu reißen. Umsonst. Echt und fest verwurzelt. Das darf doch nicht wahr sein!
Eine freilebende Pflanze in meinem Zimmer! Nichts könnte mich mehr schrecken als das! Stets habe ich vermieden, Pflanzen in meiner Nähe zu haben. Auch Gärten und Parkanlagen schrecken mich nur und erst recht die freie Landschaft. Einmal bin ich mit Freunden nach einer durchzechten Nacht, ohne nachzudenken, aufs Land gefahren, um zu schwimmen. Aber als ich aus dem Auto steigen sollte, bekam ich Angstzustände angesichts der hohen Bäume, des dichten Grases und des wogenden Schilfes. Also blieb ich die ganze Zeit im Auto sitzen. So ist mein Verhältnis zur pflanzlichen Natur. Denn gegen Tiere und Menschen habe ich weiter nichts. - Auf allen vieren krieche ich vom Sofa, die Pflanze im Auge behaltend. Vorbei an den Mülltonnen, dabei sehe ich die Meerschweinchen, gedrängt, geduckt, in der Ecke kauern - kein Wunder, die mögen auch keine lebenden Pflanzen - immer die Zimmerdecke beobachtend taste ich nach der Axt, die am Gürtel meiner Ausrüstung befestigt ist. Die Ausrüstung hängt immer neben der Gasflamme an der Wand. - Die Axt in der Hand springe ich auf das Sofa, packe die Pflanze am Hals und hacke ihr die Kehle durch.
Nach einer Verschnaufpause beschließe ich, den Umstand schon so früh wach zu sein, zu nutzen, um die Miete einzutreiben.
Heute ist Zahltag,ich muß meine Ausrüstung anziehen : Stahlhelm, Axt, Brecheisen, Taschenlampe, Messer, Gas, Schlüsselbund, Schraubenzieher. Ich bin stets auf alles gefasst, weil ich hier schon einiges erlebt habe. Seit einiger Zeit ist es zwar relativ ruhig, aber man kann ja nie wissen. Ich glaube, daß es sich im Moment so verhält, daß hier ein Verhältnis entstanden ist, in dem jeder auf den anderen angewiesen ist. Wie wahr das sein sollte, würde ich noch erfahren.
Die Bewohner sind auf das Haus angewiesen, denn die kriegen nirgendwo mehr eine Wohnung, außer im Knast oder im Altersheim, was irgendwo das Gleiche ist. Ich halte das Maul und die zahlen. So klappt das meistens. Ich bin auf die angewiesen, denn ohne die Mieter kein Eintreiben, das heißt keine Wohnung für mich. Also muß ich sie diesem Haus erhalten.
Im ersten Stock wohnen Gingers. Die mißbrauchen ihre sieben Kinder und drehen Pornos. Normalerweise gibts keine Probleme. Aber heute will niemand öffnen. Ich höre ein Baby schreien und brülle, "Macht auf, ihr Schweine! Her mit der Kohle oder ich sprenge die Tür! Auf ihre Kosten!". Nichts. "Okay,ich komme in zwei Stunden wieder!"
Im fünften Stock wohnt Frau Marisch. Sie steht schon an der Tür. "Na, wieder Ärger mit unten?" Kopfnicken. "Ich habe Efeu in der Wohnung. Seit heute morgen." "Ich auch.Schneiden sie ihn einfach ab. "Sie gibt mir den Umschlag mit Geld. Ich zähle nach. "Okay Frau Marisch. Bis nächsten Monat. "Ich begegne den Hausbewohner während des Monats so gut wie nie. Man versucht sich aus dem Weg zu gehen.
Im sechsten Stock wohnen Herr Bogul und Herr Gänzlich. Bogul ist Mafiaboß und Gänzlich ein armer Pensionär. Bei Bogul liegt der Scheck immer unter der Fußmatte, nur diesmal nicht und Herr Gänzlich öffnet nur widerstrebend. "Ich habe heute noch kein Geld. Aber ich erwarte eine Anweisung von meiner Ex-Frau. Bitte haben sie ein wenig Geduld!" "Was ist, 'ein wenig'? Auf solche Mätzchen habe ich keine Lust. Wozu gibt es denn das Pfandhaus? Ich weiß, daß ihre Wohnung mit antiquen Schrott vollgestopft ist. Sie verstehen ... Morgen um die selbe Zeit und zwar mit Geld!"
Zufrieden, den unangenehmen Teil meines Tages geschafft zu haben, steige ich ins Erdgeschoß hinab. Als ich die Tür öffne, schlagen mir Efeuranken entgegen und die Meerschweinchen laufen zwischen meinen Beinen hindurch wie rasend in Richtung Haustür."Verdammte Scheiße!" Ich muß herausfinden wo dieses Gewächs herkommt! Nach einigen hilflosen Versuchen, die Pflanzenflut zu dämmen, schlage ich die Wohnungstür zu und versuche erstmal nachzudenken...Die Pflanze kommt aus der Decke - ich muß die Wohnung über meiner sehen!
Zum Glück habe ich die Schlüssel zu allen Wohnungen stets bei mir. Sie hat die Nummer 15. Vorsichtig schließe ich auf. Es ist stockdunkel. Taschenlampe an. Die Wohnung ist völlig leer. Die Fenster sind vernagelt, aber dank Ausrüstung ist das für mich kein Problem. Als ich die erste Latte löse, sticht ein Sonnenstrahl in den aufgewirbelten Staub. Eifrig reiße ich die Fenster weiter auf, bis das eindringende Licht genügend Sicht freigibt. Fußboden absuchen nach Bruchstellen, Spalten, Rissen, Wölbungen. Aber es ist nichts zu sehen. Auch Hohlräume sind nicht festzustellen. Das einzige was mir auffällt, ist eine Flasche, die umgestürzt am Boden liegt, ungefähr an der Stelle, an der sich, nach meinen Berechnungen, der Riß an meiner Decke sein müßte. Aus der Flasche ist Flüssigkeit ausgetreten, die immer noch leise vor sich hin brodelt. Ich nehme die Flasche an mich und beschließe sie untersuchen zu lassen. Und wer kann die Flasche erst vor kurzem hier ausgeschüttet haben? Was soll ich bloß tun? Das Haus, meine Wohnung kampflos der Pflanze überlassen? - Nicht solange ich meine Ausrüstung bei mir habe! Also die Axt aus dem Gürtel geholt und auf in den Dschungel Erdgeschoß!
Es ist eine unglaubliche Holzerei, bis ich zum Stamm vordringe. Die Kappung dauert ungefähr drei Stunden. Ich schneide alles ab, bis auf den 20 cm dicken Stamm, der sich inzwischen in dem Riß in der Decke breitgemacht hat. Die abgeschlagenen Äste werfe ich zum Panoramafenster raus. Ich habe meine Wohnung wieder.
Zermürbt von der langen Arbeit und dem Ergebnis wanke ich auf das Sofa und schlafe in sekundenschnelle ein.
Gegen Abend wache ich auf und gehe sofort zu Frau Marisch hoch. Nach dreimaligen Klingeln - unser Geheimzeichen - öffnet sie, im Morgenrock mit pinkfarbenen Haarnetz und müden Falten im Gesicht. "Abend, Frau Marisch. Sie haben doch gestern von Efeu in ihrer Wohnung gesprochen?" - Ich komme gleich zur Sache. - "Aber ja, kommen sie nur herein. "Wir gehen einen langen Flur hinunter. Dunkelgrüne, stoffbespannte Wände und ein dicker Teppich federt unter den Schritten. Man geht im lautlosen Raum. Sie öffnet die letzte Tür und eine atemberaubende Welle von feuchter, heißer Luft schlägt mir entgegen. Frau Marisch scheint unbeeindruckt, sie scheint sogar ihre Nase der Luft entgegenzurecken.
Sie hat ihre Veranda und das Wohnzimmer in ein Treibhaus verwandelt. Hier wächst alles, was sie zum Leben braucht. Außerdem erlesene Blumen und seltene tropische Gewächse. Hier hält sie sich den ganzen Tag auf. Und wenn sie nicht die Pflanzen pflegt und für sie arbeitet, sitzt sie einfach da und blinzelt in den hellen Himmel über sich. Aber in diesem Moment sind die Gewächse in rötliches Abendlicht getaucht und es erscheinen unliebsame Landschaften. Es schüttelt mich. Ich haße diese Atmosphäre. Es würgt mich.
"Sehen sie, gestern morgen saßen diese Pflanzen als winzige Triebe in den Töpfen, die ich schon mit Erde für eine Umtopfung vorbereitet hatte. Nun sehen sie sich diese Exemplare heute an." - Die Triebe sind nun etwa einen Meter lang und versuchen sich überall festzuklammern. Dabei sind sie von der selben giftgrünen Farbe wie die in meinem Appartement, nur zeigen diese hier eine dünne Schleimschicht mit der die Blätter überzogen sind,auf. "Ist das nicht abstoßend? Ich werde sie jedenfalls auf dem Dach verbrennen."
Ich muß hier raus! Nach Luft ringend stürze ich zurück in den dunklen, gepolsterten Flur. Jetzt muß ich ihr natürlich erzählen, was in meiner Wohnung geschehen war. Sie will es sofort sehen und wir gehen hinunter. Als ich in die Wohnung trete, sehe ich als erstes nach den Blättern am Boden, die noch vom Abholzen dort liegen müßten, aber sie sind verschwunden. Alles ist still und das Fenster, das ebenfall von mittags noch offen sein müßte, ist fest verschlossen. Ich reiße es auf und sehe auf den ehemaligen Plattenhof hinab. Dort liegen ein Autoreifen und eine alte Waschmaschine, wie immer, nur keine Spur von Ästen und Ranken.
Aber mir kommt ein Gedanke. "Kannten sie zufällig den Mieter von Nr. 15?" Sie senkt den Blick. "Flüchtig, aber genug um mich von ihm fernzuhalten. Er war mein Vorgesetzter, als ich in einem chemischen Labor arbeitete. Es war Zufall, daß wir im selben Haus wohnten. Ich weiß nur noch, daß er Bungalee hieß und ziemlich bald gefeuert wurde. Ich habe seltsames von verbotenen Experimenten gehört." "Waren sie jemals in seiner Wohnung?" Sie sieht mich an. "Nein. Wozu?" "Also gut - vielen Dank für ihre Auskünfte. Ich muß mich nun leider verabschieden, Frau Marisch, denn ich habe noch viel zu tun. "Mit diesen Worten schiebe ich sie langsam zur Tür hinaus. Sie hat immer noch ihr Haarnetz auf und winkt mir nochmals durch den Türspalt wie eine nette alte Dame zu. -
Frau Marisch hat mit der Sache zu tun und vielleicht noch jemand.- Wieder allein, sehe ich mich um. Alles ist ruhig..... - die Meerschweinchen! -
Ich laufe auf den Hausflur, die Eingangstür steht offen. Ich laufe hinaus und in der Dämmerung ist nichts zu sehen außer den ersten Lichtern der fernen Straße. Ich denke, zum Glück vermehren sich Meerschweinchen so schnell. Ich werde neue haben. Es würde mich nur interessieren, was mit den elf Tieren passieren wird. Ob sie von den Ratten gefressen werden, oder ob sie Aggressionen entwickeln könnten, um zu überleben? Wo würden sie sich verstecken? Sind sie wie entflogenen Wellensittiche, unfähig in unserer "Natur" zu überleben? - Bedächtig gehe ich zum Haus zurück. Ich beschließe die Nacht auf Nr. 15 zu verbringen. Es ist sicher, daß etwas passieren wird. Ich nehme meine Matzratze und trage sie hoch. Denn sie werden heute Nacht kommen, um neuen Efeu zu pflanzen. Auch diese Wohnung hat ein Panoramafenster und sogar eine Terrasse. Es ist eine laue Nacht und ich beschließe, die Mörderbande vom Balkon aus zu überraschen. Der Abend scheint ewig zu dauern, aber die Lichter trösten mich. Ab und zu nehme ich einen Schluck Sherry und rauche.einen Joint. Gegen drei Uhr morgens, als ich die Hoffnung schon fast aufgegeben habe, höre ich die Tür. Ein einzelner Mensch geht über die knarzenden Dielen. Er ist zielstrebig, kennt sich aus. Jetzt kommt er an der Terrassentür vorbei. Es ist ein Mann. Diese Silouette kenne ich auch ohne Taschenlampe! Herr Gänzlich! Ich bin umzingelt! Nun ist es an der Zeit, aufs Ganze zu gehen. Vorsichtig schleiche ich hinter ihm her und ziehe dabei die Axt, links die Taschenlampe im Anschlag. Als ich um die Ecke luge, sehe ich ihn, im Mondschein dramatisch beleuchtet, wie er rund um die Stelle über meinem Sofa Flüssigkeit verschüttet, die beim Auftreffen sofort anfängt zu blubbern. Als er die zweite Flasche öffnen will, schreie ich Halt! Er ist geblendet von der Lampe und sieht nur den Schatten des Beils. Unter diesen Eindrücken weicht er einige Schritte zurück und fällt in das Loch, das sich bereits unter der Flüßigkeit gebildet hat. Ich höre einen Aufschrei und ein Knacken, als er auf die Kanaldeckel fällt. Ich renne nach unten. Platt wie eine Flunder hat er sich auf meinem Sofa breitgemacht. Er lebt noch. Ich frage ihn leise, "Ist Frau Marisch an der Sache beteiligt?" "Ja, sie hat mich angetrieben. Sie hat mir keine Ruhe gelassen. Ich wollte nichts mehr mit dem Experiment zu tun haben. Aber nachdem sie die ganze Wahrheit erfahren hatte, wurde die Vollendung meiner Forschungen zu ihrem Lebensziel und sie erpresste mich, drohte mir, zur Polizei zu gehen. Und da ich ein schwacher, feiger Mensch bin, mußte ich ihr wohl oder übel helfen. "Er atmet schwer und erbricht einen Schwall Blut auf den Boden. Mit einem Handzeichen bedeutet er mir, daß er weitersprechen will.
"Sie hat sich hier im Lauf der Jahre die richtigen Bedingungen geschaffen. Ich sage nur, es ist kein Zufall, daß dieses Gebäude das letzte auf dem Gelände ist...." Wieder stockt er. "Wer sind sie?" "Dr.Bungalee, eine wissenschaftliche Existenz, die auf dieser Welt keinen Platz hat. Dennoch sollte sich hier, entgegen meinem Willen, mein Lebenswerk vollenden. Ich sah das Drängen von Frau Marisch als mein Schicksal an. Das Werk sollte sich vollenden, der Traum von der synthetischen, steuerbaren Pflanze. Sie wäre die Lösung für die Gartenpflanzung, Landschafts gestaltung, Innenbegrünung. Sie müßen sich die Pflanzen so vorstellen, ..." Er gerät regelrecht in Feuer, soweit man das in seinem Zustand kann.".... daß sie sich per Fernbedienung im Garten, in der Landschaft beliebig verschieben lassen und - ihr Wachstum ist steuerbar. Sie können sie wachsen und schrumpfen lassen, so daß man sich täglich eine neue Sicht der Landschaft und wechselnde Perspektiven erstellen kann. Das war den Menschen wohl unheimlich und niemand wollte meine Forschungen weiter unterstützen. - Außer Frau Marisch." "Aber was habe ich mit der Sache zu tun?" "Sie stören. Wie sie nicht wissen können, ist Frau Marisch seit kurzem Besitzerin dieses Hauses. Leider mußten wir sie mit übernehmen. Aber wir hofften, die Angelegenheit schnell erledigen zu können, was wir ja deutlich versucht haben." " Sie meinen die Pflanze?" "Natürlich. Wir waren kurz davor das Haus und die Umgebung geleert zu haben, um das Experiment endlich starten zu können, - als sie einzogen. Sie schnüffeln überall herum und versuchen für Ruhe und Ordnung zu sorgen.Wir hatten noch erhebliche Umbauarbeiten vor. Aber jetzt ist das sowieso alles nichts mehr wert, denn sie werden uns bestimmt verraten." "Das wird nicht passieren!" Frau Marisch tritt aus dem Dunkel des Türbogens. "Du wirst Geld von uns bekommen, du verkommenes Subjekt. Das läßt dich alles tun und hier fühlst du dich ja wohl nicht mehr so wohl. Oder täusche ich mich da?" Ich sehe von einem zum anderen und kann es nicht fassen, daß ich hier in eine Horrorshow rasend gewordener Rentner geraten bin. Und ich denke mir, angesicht dieser Wahnsinnigen und dem Angebot, wirklich nichts anderes, als mich mit dem Geld in der Tasche schleunigst aus dem Staub zu machen. Eine einzige Bedingung will ich stellen. "Okay, ich stimme allem zu, aber ich will die Kinder der Gingers aus dem Haus schaffen können." " Von mir aus können wir gerne die ganze Sippe sofort, auf der Stelle aus dem Haus schmeißen. Die sind schon lange ein Dorn in meinen Plänen. Geben sie mir das Elixier, ich werde es in der Wohnung über ihnen ausschütten. Ach ja, den Schlüssel bitte. "Ich gebe ihr alles, weil die Kinder irgendwie aus dem Haus müssen. Ich habe einen Plan.
Als ich die ersten Schreie vernehme, gehe ich nach oben. Sie kommen mir schon entgegen, mit Sack und Pack. "Wir ziehen aus! Wir werden schon etwas finden." So der Vater, dem die Augen noch mehr als gewöhnlich aus den Höhlen treten, panisch zuckend. "Na denn, viel Glück und kommen sie auf keinen Fall zurück!" rufe ich ihnen hinterher. Rasch sind meine Sachen gepackt.
Frau Marisch sitzt auf einem Stuhl neben dem Sofa und hält Gänzlich/Bungalee die Hand. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er unter normalen Umständen eine Überlebenschance hätte. Sie will anscheinend auch keinen Krankenwagen holen. "Geben sie mir mein Geld und ich bin über alle Berge. Wortlos holt sie das Geld aus ihrer Schürzentasche. Ich zähle nach, 10.000 Dollar. "Bißchen wenig für die Ungeheuerlickeiten, die ihr beiden Scheusale hier veranstaltet." "Wir haben nicht mehr im Haus." "Ich bin sicher, daß sie alles, was sie besitzen im Haus haben." "Aber kein Geld!" Ich ziehe die Pistole. Aus diesem Haus will ich nach den ganzen Scherereien rausholen was, nur geht. Und diesen beiden Monstern gegenüber kenne ich keine Hemmungen mehr. "Muß ich ihm, in seinem mitleiderregenden Zustand auch noch ins Bein schießen? Wollen sie das wirklich?" "Nein! Tun sie ihm das nicht an! - Ich habe noch etwas in der Wohnung. Ich will es holen." Und steht auf. "Nichts da. Sie erklären mir, wo das Geld ist und bleiben schön hier." "Im Schreibtisch, im Schlafzimmer. Zweite Schublade links." "Ist ja ganz einfach. - Ich werde sie nun fesseln, meine verehrte Frau Marisch." Ich zurre sie so fest, daß ihr die Luft wegbleibt. "Immer schön ruhig bleiben, dann atmet es sich leichter." Ich beeile mich, weil ich hier endlich raus will. Das Geld ist sofort zu finden. Ich durchsuche natürlich auch die Schubladen in den anderen Zimmern. Im Schlafzimmer bemerke ich ein Bild, das einen unnatürlichen Schatten wirft. Als ich es bewege, klappt es zur Seite und ein Tresor wird sichtbar. Ich ziehe am Griff und der läßt sich auf wunderbare Weise öffnen. Aber ich schrecke enttäuscht zurück. Kein Geld, kein Gold, nur Videos. Darauf stehen Namen : Hurrican, Lobster, Miller, Gutgern, Huggins, Dietlef, Gruber, Hester, Glancouver, Siegenhart, Smith, Ginger, Etzelmann, Daniels, Overhead, Murbis, Southmore, Arbinshire, moment mal ..... Ginger? Ich nehme die Kassette und gehe zum Recorder, der in die Wand eingelassen ist. Nach den ersten Minuten ist mir klar welchen Schatz Frau Marisch beherbergt. Sie ist also die Betreiberin des Kinderpornounternehmens, welches die Gingers und viele andere Familien unterhalten. Daher also auch das viele Geld, um solche Aktionen wie die Räumung des Umkreises und die Übernahme des Hauses in die Wege zu leiten. Ein Monster! Ich sitze auf einem kriminellen, neurotischen Wespennest! Aber sie ist in meiner Hand! Ich triumphiere und beschließe alles so gründlich wie möglich zu verrichten. -
Schnell wieder nach unten. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Tagen diese verdammte Treppe rauf und runtergelaufen bin. In der Wohnung ist es still. Ich werde sie nicht losbinden. "So. Alles klar. Ich gehe jetzt und verfluche sie. Ihr Handeln werden sie noch büßen müßen!" Die Tür fällt hinter mir zu. Ich gehe ein paar Schritte um die Hausecke, stelle die Koffer ab. Heimlich habe ich den Kanister Benzin, den ich immer im Schrank hatte, falls ich einmal ein Auto besitzen sollte, eingepackt. Ich gehe nach hinten, zur alten Holzveranda und ums ganze Haus herum. Dabei ziehe ich eine Benzinspur an der Mauer entlang. Nachdem ich an verschiedenen Stellen Feuer gelegt habe, renne ich zu meinem Gepäck und marschiere Richtung Süden los. Bei den ersten Häusern angelangt, drehe ich mich um.Die ersten vier Stockwerke stehen bereits in Brand. Als das Feuer die Wohnung von Frau Marisch erreicht, zerspringt das Treibhaus in einer derartigen Explosion, daß sich der Himmel verdunkelt und ich von der Druckwelle zu Boden gerissen werde. Die Fensterscheiben des Hauses hinter mir prasseln auf mich herab.
So ist das Leben. Kaum, daß der letzte Kanaldeckel aufgelegt war, ist die Vollendung einer Liegestätte schon in glühender Asche zerflossen.
Auch mein Traum ist zerstört.
Zeichnungen: Alexandra Filipp