Barbara Jung

Das Netz, das Denken, das Buch und seine Liebhaber

Unser ganzes Leben denken wir, tausende und abertausende von Stunden lang. Heraus kommt dabei herzlich wenig. Das liegt daran, daß unsere Gedanken von einer Sache zur anderen wandern, abreißen und woanders wieder ansetzen, abgelenkt werden von Wahrnehmungen und, so schrieb ein Dichter, vorbeifliehen wie nächtliche Schatten. Greifbare Ergebnisse gibt es, relativ zum Zeitaufwand, kaum, aber der Unterhaltungswert des Denkens ist unbestritten.

Unbestritten IST AUCH DER UNTERHALTUNGSWERT DES SURFENS IM NETZ, DAS, VERFOLGT MAN SEINE WEGE ZURÜCK, EINE GENAUE ABBILDUNG UNSERES ALLTÄGLICHEN DENKENS LIEFERT. BESCHRIEB NIKLAS LUHMANN DAS DENKEN ALS EINEN PROZESS, DER IMMER DAS NÄCHSTE EREIGNIS NACH SICH ZIEHT, SO KANN MAN DIESES SCHEMA ÜBERTRAGEN AUF DAS INTERNET, DAS SO KOMPLEX VERKNÜPFT IST, DASS IMMER DER NÄCHSTE CLICK MÖGLICH IST.

Hochgelobt WIRD DIE FREIHEIT, DEM EIGENEN WEG ERST HERZUSTELLEN. OB DAS SO EIN GROSSER GEWINN IST, IST FRAGLICH: ES IST KAUM MEHR EIN GEWINN ALS DIE ENDLOSE ASSOZIATIVE LITANEI DES ALLTÄGLICHEN DENKENS. ERST WENN EINE WEB PAGE IN DER LAGE IST, UNS FESTZUHALTEN, BEGINNT DIE MÖGLICHKEIT, SICH IN ETWAS FREMDES ZU VERTIEFEN UND NICHT NUR DIE WOHLBEKANNTE STRUKTUR ZU REPRODUZIEREN, BEI DER EGAL IST, OB SIE SICH AUS DER BILDZEITUNG SPEIST ODER AUS ELEKTRONISCHEN NETZEN (SO ABWECHSLUNGSREICH DAS AUCH SEIN MAG).

Nicht DASS ICH MISSVERSTANDEN WERDE: ICH FRAGE ERST DANN, WAS DAS SURFEN IM NETZ BRINGT, WENN MEDIENTHEORETIKER BEHAUPTEN, DASS ES ETWAS BRINGT, WAS GENERELL ÜBER DIE UNTERHALTUNG HINAUSGEHT. UNTER WELCHEN UMSTÄNDEN DAS DER FALL IST, IST WENIGER ABHÄNGIG VON DER ANGEBLICH NEUEN SELBSTGESTALTUNG DES PROZESSES ALS VOM IDEENREICHTUM, WONACH MAN EIGENTLICH MAL SUCHEN KÖNNTE (SUCHMASCHINEN ERLEICHTERN DAS), ODER OB MAN SICH, WORAUF MAN STIESS, NICHT MAL GENAUER ANGUCKEN KÖNNTE. STRUKTURIERUNG UND KREATIVE ANEIGNUNG SIND ALSO AUF DEM NETZ NICHT WENIGER ODER MEHR GEFRAGT ALS IN UNSERER ÜBRIGEN UMGEBUNG, GENAUSO WIE DIE FÄHIGKEIT, BEI DER SACHE ZU BLEIBEN.

Sicher WIRD DADURCH DIE NEUIGKEIT VON NETZEN RELATIVIERT, ABER ICH FRAGE MICH SCHON LÄNGST, WAS GEGEN EINE RELATIVIERUNG EINZUWENDEN IST. ES BEDEUTET DOCH KEINEN WERTVERLUST, DIE ABGRENZUNG EINES PHÄNOMENS VON ALLEN ANDEREN DINGEN AUFZUGEBEN UND GEMEINSAMKEITEN FESTZUSTELLEN, Z.B. ZUR BUCHKULTUR. JEDER KANN EIN BUCH AUFSCHLAGEN, WO ER WILL, KANN ES GEBANNT DUCHLESEN ODER ZUR SEITE LEGEN UND ZUM NÄCHSTEN GREIFEN. DER GEBRAUCH VON DINGEN WAR SCHON IMMER OFFENER ALS DIE WOMÖGLICHEN INTENTIONEN DERER, DIE SIE GESCHAFFEN HABEN. MANCHMAL DECKTE SICH BEIDES, WIE BEI DELEUZE/GUATTARI, DIE DEN ANSPRUCH, IHNEN VON ANFANG BIS ENDE ZU FOLGEN, AUFGABEN. ABER AUCH SIE HABEN BEIM SCHREIBEN IHRER BÜCHER EIN WORT HINTER DAS VORIGE GESETZT.

Und SO IST AUCH EINE WEB SITE KONSTRUIERT, UND DENEN, DIE SO ETWAS HERSTELLEN, WIRD ES WOHL EHER GEFALLEN, WENN SICH JEMAND IN IHREM KLEINEN NETZ LÄNGER AUFHÄLT ODER ES SOGAR SYSTEMATISCH ABKLAPPERT, ALS WENN ER/SIE NUR DEN NÄCHSTEN LINK SUCHT, UM MÖGLICHST SCHNELL WOANDERS HIN ZU KOMMEN.

Jedoch GEHÖRT AUCH DAS VERWEISEN ZUR ZITIERKULTUR UND JEDER, DER DURCH QUERVERWEISE AUF EINEN SELTENEN, VOM MAINSTREAM UNBEACHTETEN AUFSATZ GESTOSSEN IST, KENNT DIESE ERFAHRUNG LÄNGST. ICH VERMUTE DIE ABNEIGUNG GEGEN BÜCHER WOANDERS ALS IN DER ANGEBLICHEN BESCHRÄNKTHEIT, SIE ZU BENUTZEN. DELEUZE HATTE, WIE ER SCHRIEB, VIELMEHR DAS GEFÜHL, "VON DER GESCHICHTE ERSCHLAGEN ZU WERDEN" - "DU DARFST NICHT WAGEN, IN DEINEM NAMEN ZU SPRECHEN, WENN DU NICHT DAS UND DAS GELESEN HAST ..." - MAN SOLLTE DIE OFT ERDRÜCKENDE FORDERUNG NACH WISSEN JEDOCH TRENNEN VON DER TATSACHE, DASS ES IN FORM VON ZUSAMMENGEBUNDENEN SEITEN FESTGEHALTEN IST, AUCH WENN DAS WORT "PFLICHTLEKTÜRE" NUR IN DER SCHRIFTKULTUR EXISTIERT.

Wissensanhäufung IST NICHT ETWAS, DAS ABHÄNGT VOM MEDIUM, IN DER SIE STTFINDET. "WIE, DIESEN FILM HAST DU NICHT GESEHEN, DIESE PLATTE KENNST DU NICHT?" SIND FRAGEN, DIE IN ANDEREN BEREICHEN, NICHT DEN UNIVERSITÄREN, IN DENEN DELEUZE SICH BEWEGT, OFT AUFTAUCHEN. OB SICH GESCHRIEBENES WISSEN MIT SEINEM BEGRIFFLICHEN APPARAT (ABER AUCH SEINER POESIE) VON ANDEREM, BILDHAFTEN Z.B., UNTERSCHEIDET, OB SEINE STRUKTUR EINE HERRSCHAFTSGESTE IMPLIZIERT UND ALL DIESE DINGE, MAG ZWAR INTERESSANT SEIN, HAT ABER MIT DEM THEMA HYPERTEXT KEINE TANGENTE.



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