Claudia R.

Eine Tunte zum Dessert

Lothar Lambert macht seit zwanzig Jahren Undergroundfilme. Mit möglichst geringem Aufwand und meist ohne Drehbuch filmt und spielt er kleine und große Episoden aus seinem Leben. Freunde und Bekannte werden als Darsteller eingesetzt und die Improvisation und der Zufall bestimmen die Qualität. Um das ganze zu einem Film werden zu lassen, benutzt er die Mittel des Films. Er läßt kuriose Songs die Stimmung beschreiben. Close-Ups, um die Individualität seiner Darsteller zu intensivieren, und den Off-Ton, um eine Handlung hinzukriegen. Montage und Schnitt verleihen dem ganzen die richtige Dramaturgie und den echten Lambert-Stil.

Neid: Im Buch von Stefan Menche über dich und deine Filme gibt es die Kategorie "Lambert Urtyp-Film", das sind die, wo du alles selbst gemacht hast, also auch nicht fürs Fernsehn gearbeitet hast. Sind diese Filme wirklich so anders?

Lambert: Nee, es kann sein, daß bald auch diese Filme von freien Sendern gezeigt werden, wenn das so weiter geht mit der Liberalisierung im Fernsehn, mit Sex und so.

Neid: Du glaubst die werden wegen dem Sexgehalt nicht gezeigt?

Lambert: Ja ich denk schon, obwohl die ja ganz...., die haben ja viel härtere Sachen, aber da meine Filme gleichzeitig auch immer ein bißchen realistisch wirken und man sie nicht einfach als Kinotrash betrachten kann, gehen einem manchmal vielleicht diese Sexsachen mehr unter die Haut.
Meine neueren Filme sind wesentlich weniger scharf in der Beziehung. Es geht ja mehr um die Anfang der achtziger Jahre entstandenen Filme, wie "Fucking City" und "Alptraumfrau", wenn ich die heute sehe kriege ich selber einen Schreck wieviel Sex da drin ist, weil man jetzt ein ganz anderes Lebensgefühl hat und das jetzt nicht mehr so sieht eigentlich.
Die Nacktheit im Filmen. Mit welcher Selbstverständlichkeit alle Darsteller damals nackt vor die Kamera gehüpft sind. Das würde heute eine riesige Diskussion und Theater und warum denn, nee muß doch nicht sein... also das ist jetzt ganz anders das Verhältnis dazu....

Neid: Man hat dich und deine Mitarbeiter oft "Family" genannt und euch mit Warhols Factory verglichen. War das auch deine Absicht, war das ein Vorbild?

Lambert: Die Presse hat das einfach so.....
Nee,wir haben nie zusammen gelebt. Wir haben uns nur oft getroffen und da hat sich Privatleben und Filmerei so total vermischt irgendwie. Man wußte teilweise nicht mehr wo die Rolle anfängt und wo man Eigenes reinbringt und das war auch ganz gut so, weil es keine gelernte Schauspieler sind, die müssen selber was von sich preisgeben sonst kommt ja nichts rüber. Sie lernen ja auch nicht unbedingt Texte auswendig, wenn's nicht sein muß, wenn man nicht unbedingt ein Drehbuch haben muß, wie bei manchen Produktionen vom Fernsehn oder wo Filmförderung mit finanziert hat, da muß man ja ein Drehbuch einreichen.
Andy Warhol Filme mochte ich schon, das hat mir damals schon imponiert, diese Flash und Trash und Lonesome Cowboys. Aber ich habe bewußt nie versucht Kinoerfahrung nach zu machen, ich habe mich mehr am Leben orientiert.

Neid: Deine Erstlingsfilme werden als sozial- und gesellschaftskritsch bezeichnet, die späteren hätten das nicht mehr? Stimmt das?

Lambert: Ein starker Einfluß bei mir waren die englischen Filme, "Bitterer Honig" und so, die also das soziale Elend.... Toni Richardson... die waren auch alle schwarz-weiß, und in sofern - diese Ähnlichkeit kommt ja auch durch das s/w Material, da wird dann alles realistischer und drister und das Wort sozialkritisch ist dann eben sehr nah, wenn man mit Menschen arbeitet, die keine Filmgesichter haben.

Neid: Der Film "Ex und Hopp" hat auch mit Drogen zu tun, Junkies und Mord kommt darin vor, das hört sich so nach Problemfilm an, die zu dieser Zeit sehr modern waren. Bis jetzt konnte ich den noch nicht sehen, aber kann man das wirklich so nennen?

Lambert: Nee, die Themen der ersten drei Filme kamen auch durch den Einfluß von Wolfram Zobus, mit dem ich zusammen studiert hatte und der die Kamera gemacht hat.
Ich hab mich nie besonders interessiert für die 68 ziger Sachen, hab dann immer ein bißchen Abseits gestanden, aber er war da volle Pulle dabei. Da sind wir dann einfach losgezogen und haben Dokumentaraufnahmen von Demos gemacht und ich selber habe dann eine Ein-Mann-Demo gemacht mit so einem Schild um, Nixon ist ein Faschist oder irgend sowas, vor dem Amerika Haus und bin dann von der Polzei abgeführt worden. Aber leider wurde ihm die Kamera dann bald aus der Hand geschlagen, so daß das dann sehr kurz ist im Film. So ging eben Film und Leben halt sehr bunt durcheinander.

Neid: Und mit Fassbinder, den hast du doch gekannt, was konntest du mit dem anfangen?

Lambert: Nun ja, den hab ich mal so als Kritiker in Cannes interviewt und kennengelernt und dann ist er mir öfter über den Weg gelaufen bei der Berlinale und dann hab ich ihn einfach mal gefragt, ob er mal Vormittags Zeit hat und dann kam er mit der Ingrid Carven ganz pünktlich an, hat's brav gemacht seine Rolle und dann auf Wiedersehn und das wars. Aber dann haben seine Leute, wie Brigitte Mira und so ein paar andere, gesagt, ja dann machen wir auch. Das waren ein bißchen Herdentiere und wenn der Meister sich nicht zu schade war, dann konnten sie das ja auch machen.

Neid: Und wie stehst du zu ihm und seinen Filmen?

Lambert: Also zwiespältig. Ein paar fand ich ganz toll, ein paar sehr doof. Vor ein paar Jahren war mal eine Retro wo seine alten und meine ersten Filme gezeigt wurden und da sagten mir die Veranstalter, und ich hab's dann auch selber irgendwie mitgekriegt, daß er eben diese Kinoerfahrung am Anfang verarbeitet hat, Hanna Schygulla so als Möchtegern Gansterbraut, so amerikanische Filme nach gemacht..., - daß diese Art sehr angestaubt wirkt heute, sehr ihrer Zeit verhaftet. Während meine Filme immer mehr sozusagen Dokummentarcharakter kriegen im Laufe der Zeit. Die Inszenierten Schwächen treten zurück zu Gunsten dieses Zeitgefühls, was von damals ganz echt konserviert ist. Also ohne diesen Kunstanspruch, der bei Faßbinder sehr oft die Personen nur zu Figuren gemacht hat, die irgendwie bewegt werden. Das find ich sehr steril und tötlich irgendwo.

Neid: Hast du immer vorgehabt Underground zu sein?

Lambert: Nee. Das will keiner, nee, glaub ich nicht. Aber mich hat es nie frustriert, daß keiner ankam und sagte hier haben wir was, macht das mal für uns. Das hat mich nie abgehalten mein Ding weiter zu machen. Durch dieses immer weiter machen hat sich so eine Art kleine Legende gebildet, weil das eben andere nicht so lange gemacht haben.

Neid: Aber gerade das finde ich so interessant, daß du zwanzig Jahre Underground gemacht hast.

Lambert: Ich bin ein Gewohnheitstier. Genauso wie ich früher viel Sex gemacht hab, weil's ne Gewohnheit war, hab' ich's jetzt aufgegeben und überhaupt kein Interesse mehr, ist mir alles viel zu anstrengend geworden. Jetzt ist es die Malerei, da kann ich jetzt gar nicht mehr aufhören. Da mal ich bis zu zehn Bilder am Tag. In eineinhalb Jahren hab ich fast siebenhundert Bilder gemalt, Ölgemälde und ein paar Ausstellungen mache ich jetzt in Cafes und so.

Neid: Und was machst du filmisch zur Zeit?

Lambert: Wir kaspern seit langer Zeit an einer Finanzierung rum....Das ist die Geschichte
" In Haßliebe Lola". Aber zwischendurch hab ich noch was anderes gedreht um nicht ganz zu versauern. " Gut drauf, schlecht dran" heißt der. Da mußte man nicht hintereinander groß Dreharbeiten machen, sondern da haben wir immer mal so, wenn man kann, am Wochenende....Da spielen wieder die alten Darsteller, aber diesmal nicht miteinander, sondern jeder hat seine eigene kleine Episode. Am interessantesten ist wohl diese eine, mit dieser dicken Renate, die mit den dicken Brüsten, die spielt da so ne Telefonsüchtige, die verzweifelt alle anruft und keiner hat Zeit und zum Schluß liegt sie schon in der Wanne und der Fön liegt schon dabei und dann ruft endlich einer zurück und dann sagt sie, also ja das tut mir leid, hättest du früher angerufen, jetzt hab ich schon 'ne Verabredung, nämlich mit dem lieben Gott. Das ist ein bißchen komisch und traurig zugleich und das macht sie ganz toll, weil sie selber im Privatleben auch so telefoniersüchtig ist. Die Renate die quatscht in dem Film nur englisch, weil sie privat, da kam ich drauf, auch viel BBC oder AFN oder was weiß ich, hört. Die spielt das so perfekt, weil es eben Teil ihres Lebens ist. Und das ist sozusagen das Prinzip wieder, wie es bei mir im Idealfall immer ist. Die einzige Berühmte, die wir jetzt wieder am Wickel haben ist die Marion Michael, kennste die, die aus den fünfziger Jahren? Nee, da biste zu jung für. Das war das erste Mädchen was so mit nackten Busen...mit vierzehn entdeckt....Na ja und sie hat auch so ein interessantes und trauriges Schicksal und die hat schon mal bei Dagmar mitgespielt. Jetzt haben wir immer mal wieder gelesen - sie war in den Osten geflohn und ihr Sohn wieder zurück geflohen.... und die Bildzeitung läßt sie ja nie aus den Krallen.... Jetzt haben wir sie mal besucht in der Karl-Marx-Allee und ihr gehts auch nicht so doll psychisch und man würde ihr wahrscheinlich eine Freude machen, wenn sie mitspielt.
Ich weiß nicht ob dich das so interessiert, im Detail überhaupt. Na gut.

Neid: Das ist schon okay so, aber ich wollte auch fragen wie du Leute wie Schlingensief findest?

Lambert: Muß ich mich zu solchen pikanten Themen äußern. Sagen wir mal so, ich hab von ihm noch überhaupt kein Film angekuckt, weil ich bin eigentlich überhaupt nicht unbedingt so für... ich seh zwar gerne Krimis, aber nicht unbedingt diese Splatter Geschichten. Ich lese auch nur Krimis, wenn ich lese, aber mehr so von Frauen, meistens Ruth Crandell oder Mary Higgens Clark, alles wo so ein bißchen Psychologie drin ist. Und dieses hat mich so abgetörnt, diese Schilderungen von Masaker oder Ostmasaker, wie das da hieß, so daß ich überhaupt keine Lust hatte mir das an zu tun überhaupt.

Neid: Und was kuckst du dann gerne?

Lambert: Och, auch Krimis, Thriller am liebsten. Zum Beispiel der, der sehr schlecht kritisiert wurde, der mir aber sehr gut gefallen hat ist "Sliver", mit Sharon Stone. Da war ich angenehm überrascht. Sonst fällt mir jetzt keiner ein.
Sonst, - deutsche Filme sehe ich auch nicht besonders gerne.
Der Schlingensief, koketiert der nicht so mit Gewalt. Nee? Denn ich hab ihn in Hamburg erlebt und da hat er sich selber vorgestellt....aber ich hab seine Filme nicht gesehn, ich hab einfach keine Lust, das kannst du auch ruhig erwähnen, es gibt so viele schlimme Dinge, da muß mir nicht noch einer das mit Ketchup vormachen, um da was zu begreifen .
(Lange Diskussion über Schlingensief mit einem Filmemacher, der auch dabei saß).

Lambert: Das führt jetzt aber ein bißchen weg. (lacht sehr herzlich und laut) Aber du hast doch jetzt schon genug oder, nee?

Neid: Na ja, das sind vielleicht alles alte Geschichten, aber was mich interessieren würde wäre noch die Sache mit Salzgeber damals, der bei einem Festival aufrief deine Filme zu boykottieren, da sie die Schwulenszene falsch darstellen würden, und bei dem du jetzt mit deinen Filme im Verlag bist.

Lambert: Sagen wir mal so, es ist für mich immer schwierig, weil ich kein Gruppenmensch bin. Ich hab mich keinem Verein angeschlossen, hab mich auch weder der politischen Richtung damals 68ziger... war ich indifferent auch was so Schwulenpolitik und so was betrifft. Bin also Außenseiter an allen Fronten. Und das ist natürlich klar, daß man überall zwischen allen Stühlen sitzt. Und von organisierten Leuten, die sehr, teilweise auch fanatisch ihre Sache vertreten, - daß die einem dann doof finden, weil man das eben nicht macht, oder man ist Verräter oder was weiß ich noch was. Wie das eben gerade sehen.

Neid: Er fand das, was du gemacht hast politisch unkorrekt?

Lambert: Ja. Aber wenn Leute dann reifer werden, das waren ja alles sehr junge Leute, nicht nur in diesem speziellem Fall, da konnte man dann feststellen, daß die dann toleranter wurden und auch was gelten ließen, was nicht unbedingt auf ihrer Linie ist.
Meine Filme sind ja auch nie Schwulenfilme in dem Sinne, sondern es kommen halt schwule Leute drin vor...in den schwulen Zeitschriften wurde ich auch oft angeriffen, das ich sie auch noch diskriminiere oder lächerlich darstelle. Ich stell sie so dar wie sie mir begegnen im Leben, ohne, daß ich sie besser darstelle aus rein ideologischen Gründen, weil es opportun ist eine Minderheit usw. Aus diesem selben Grund krieg ich oft von Frauen teilweise eins auf den Deckel. Oder von Ausländern. Weil ich da einfach die positiven und negativen Seiten eines Menschen darstelle, mehr oder weniger sympatisch und egal ob er nun Ausländer, Frau, schwul, oder was auch immer ist. Das kann immer passieren, daß sich dann jemand auf den Schlips getreten fühlt.

Neid: Und das ist dir dann egal? Du überlegst dir nicht wie was ankommt.

Lambert: Nee, nee es kommt ja aus dem Bauch alles. Selbst bei meinen Bildern, die ich male überleg ich mir nicht, was stell ich jetzt da oder so, sondern kritzel einfach drauf los oder schmier mit der Farbe und dann gestaltet sich irgendwas. Und wahrscheinlich ist es ähnlich bei den Filmen.

Neid: Das ist mir auch bei deinen Filmen aufgefallen, daß du wenn du die Tunten spielst zwar auf der einen Seite etwas sehr Liebenswürdiges hast, auf der anderen Seite aber auch spießig und richtig gemein bist. Zum Beispiel bei Dirty Daughter, den du mit Dagmar Beiersdorf gemacht hast und wo ihr am Schluß den Libanesen verratet und er dann aus Deutschland ausgewiesen wird.

Lambert: Hm....hm....

Neid:Das fand ich sehr zwiespältig, überhaupt die Rolle von Dagmar, die ja immer so depressive Frauen spielt, die Probleme mit ihrer Sexualität haben und nie mit den Männer zu recht kommen. Wie stehst du dazu, entwickelt ihr diese Rollen zusammen?

Lambert: Also sie will ja immer gar nicht spielen, wenn dann... also ich bin quasi der Einzige, der sie überreden kann, weil sie sich da nicht so gestreßt fühlt, weil das alles unter uns ist. Aber jetzt bei dem neuen Film hat sie schon wieder Muffensausen, da hat sie sich schon das Drehbuch... sie übt schon die Text (lacht wieder köstlich)....ja sie ist mit ihren Filmen... ich hab so ein bißchen Psychologie in meine Filme durch sie reingekriegt und sie vielleicht ein bißchen mehr Frechheit, das ergänzt sich ganz gut. Sie ist auch der Typ der gar nicht mehr ins Kino geht, nur alles aus Fernseherfahrung sozusagen besteht und auf Serien steht und so ne Sachen, was ich haße auf den Tod haße. Dadurch ist es auch ganz interessant sich auseinander zu setzen miteinander. Wenn sie nun auch so, - mich noch überbieten würde an Flippigkeit oder was weiß ich was, dann würden wir vielleicht gar nicht zusammen passen.

Neid: Sie ist ja immer die frustrierte Frau und du derjenige, der Spaß haben will und sie immer mitschleppst um Männer aufzureisen und so.

Lambert: Hm. Aber das wird sich ja bald ändern. Da ich im wahren Leben die Sexualität aufgegeben hab werd ich das auch nur schwerlich darstellen können, glaubwürdig. Da werd ich auch die depressiven Hausfrauen spielen, nah an der Rente mit 'nem Hund oder 'ner Katze. (Lacht).

Die Filme von Lothar Lambert:

  1. Kurzschluß (Kurzfilm), 1971
  2. Ex und hopp, 1972
  3. Ein Schuß Sehnsucht - Sein Kampf, 1973
  4. 1 Berlin - Harlem, 1974
  5. Faux Pas De Deux, 1976
  6. Nachtvorstellungen, 1977
  7. Now or Never, 1978
  8. Tiergarten, 1979
  9. Die Alptraumfrau, 1980
  10. Fucking City, 1981
  11. Paso Doble, 1983
  12. Fräulein Berlin, 1983
  13. Drama in Blond, 1984
  14. Der sexte Sinn, 1984
  15. Die Liebeswüste, 1986
  16. Gestatten, Bestatter, 1986
  17. Verbieten verboten, 1987
  18. Liebe, Tod und kleine Teufel, 1988
  19. Du Elvis, ich Monroe, 1989
  20. Was sie nie über Frauen wissen wollten, 1991



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