Claudia Reinhardt
Work, Supermodel! Work!
Das Jahr 1993 brachte einen neuen Begriff in Umlauf, der wie gewohnt bei neuen Wortkreationen, Mißverständnisse, Streitigkeiten und böse Vermarktung heraufbeschwörte.
Queer (in den USA bekannt durch ein Zusammenwirken von Theorie und poltischen Aktivismus) heißt einfach übersetzt verrückt, seltsam oder kurios, und man benutzte dieses Wort eher im negativen Sinne. Das Wort benutzte man für Leute, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hatten - oder denen man es unterstellte. Jetzt benutzt man dieses Wort für Leute, die sich nicht durch ihre Geschlechtsorientierung bezeichnen, sondern sich auf eine Identität beziehen, die aus beiden Richtungen besteht und die konstruiert ist. Eine Definition, die nie so gebildet wurde, sondern an deren Inhalt mit Freude und Einfallsreichtum gebastelt wird.
Das interessante daran war für mich, daß die Gay Community sich diesen Begriff aneignete und ihn als Motto für die alljährliche Parade in San Francisco benutzte, was zu heftigen Debatten führte. Es wurde kritisiert, daß dieser Begriff die Bewegung auseinander treiben läßt, da das Wort Queer die Begrifflichkeit einer sexuellen Orientierung ausläßt. Außerdem wären Queers solche, die für einen Tag freudlich zu den Schwulen sind und die Ziele der Schwulen, für ein allgemeines Recht für alle, mißbrauchen. Das gemeinsame Schicksal, das die Homosexuellen mit ihrer Neigung glaubten mit jedem in der Community zu teilen, sei damit nicht mehr garantiert. Genau das wiederum sollte wohl auch die Absicht sein, und die Parade in Washington und San Francisco erzielte Rekorde an aktiver und passiver Beteitigung. Doch wer erwartete eine geschlossene Gemeinschaft, eine Gruppe, die eindeutige Foderungen stellt und sich nicht selbst in die Queere kommt? Jeder sollte wissen, daß Schwule sehr unterschiedliche Wünsche hegen. Zum Beispiel, den Wunsch ein normales Leben leben zu können. Heiraten zu können, Kinder zu kriegen, ein Soldat zu sein, oder auf solch ein Leben zu scheißen und die Promiskuiität zu feiern und auch in den Zeiten von AIDS für Bedingungen zu kämpfen, die einen anderen Lebensstil ermöglichen. Es gab wohl noch nie soviele sich wiedersprechende Forderungen bei einer Gay Right Parade wie im diesem Jahr, war die einstimmige Feststellung der Schreiber aus den USA, und das war auch nicht besonders verwunderlich - denkt man an die Theorien um das Individum, den Rap, die Raves, die die Aktivitäten begleiteten und ausbrechen ließen.
Ich spreche hier oft von Forderungen, da in der amerikanischen Schwulenbewegung politische Maßnahmen gegen Diskriminierung von der Regierung gestellt werden. Der Kinsey Report, der alle paar Jahre eine Statistik herausgibt über die Zahl der in den USA lebenden Schwulen, scheint das Leben der Schwulen sehr zu beeinträchtigen. Wie genau kann ich aus verschiedenen Gründen leider nicht beschreiben. Man kommt sich schon komisch vor, wenn man amerikanische Schwulenmagazine liest und bemerkt, daß man in einer anderen Kultur lebt, wo der Diskriminierungsvorgang anders funktioniert, die amerikanische Situation, so läßt sich leicht feststellen, scheint verschärfter und wird krasser durch AIDS. Aber nur die eine Seite scheint an die Power of numers zu glauben, denn die Zahl der AIDS-Kranken läßt wenig Veränderung im Bereich der nötigen Hilfe erkennen.
Queers allerdings lassen sich nicht zählen, denn sie haben keinen Signifanten, nicht was sie als Gruppe spezialisiert.
Queer bedeutet, nicht eine Sexualität zu haben, die vordergrundig als akzeptiert oder pervers gilt. Denn was heißt es schon, schwul oder straight zu sein. Die Zeiten, in denen es genügte zu sagen, daß man schwul ist, sind vorbei, genauso wie die Zeiten in denen man sich wohl fühlte, in das Schema der Heterosexualität zu passen (falls das überhaupt mal so sein konnte). Es waren und sind No Straights, die die interessantesten Musikrichtungen hervor bringen und die besten Discos und Bars eröffnen. Und warum kann ein/e Hetero nicht den Wunsch nach neuen Formen in Beziehungen, in der Liebe und im Alltagsleben verspüren. "Prejudice is universal, suffering is universal " sagt Boy George nach einem Auftritt mit Chuck D, womit er wahrscheinlich auf die Hasshymnen von Chuck D und anderen anspielen wollte, wie auch auf die vordergründige Solidarität von Weißen mit den Belangen der Schwarzen. Ersteres ist ein schwieriges Thema und ich überlasse diese Diskussion anderen, die glauben mehr von Musik und Black Buisness verstehen. Der zweiten Anspielung läßt sich leichter zustimmen und betrifft eher meiner Kritik, die ich hier versuche.
Heterosexualität ist ein Zwang, der nicht als solcher wahrgenommen wird, und der Frauen, die Männer lieben, keine Probleme bereiten sollte. "Sex ist keine Finalität, sondern eine Möglichkeit, das Leben zu kreieren." Damit sollte sich jeder identifizieren, egal ob straight, gay oder darfs auch bi sein?
Wenn man Queer als neuen Modetrend versteht, ist man schon am Ziel, wenn Rockmusiker im Fernsehn stolz behaupten, sie seien bi-sexuell und sich damit als besonders revolutionär darstellen möchten. Es ist zwar nichts dagegen zu setzen, wenn manche Frauen es satt haben, die Spielchen mit den bad macho guys weiter mit zu spielen und es jetzt mit dem gleichen Geschlecht versuchen, aber das trifft nicht die Auseinandersetzung, die das Aufkommen von Queer verspricht. Aber diese Kurzschlüsse sind inbegriffen und bringen möglicherweise die Sache ins Laufen. Allerdings passiert es schnell, daß eine politische Debatte zum Mythos wird und das bevor sie sich überhaupt einbringen konnte. Einige Szene Magazine und Werbekampagnen sind schneller, als der Diskurs es erlaubt und bald sind wir es über, die freudigen Lesben und Queen Drags auf Sofas vergnüt herumwälzen zu sehen. Das neue Perfekte Paar: Jeder denkt, sie ist lesbisch und er ist schwul aber in Wahrheit sind sie nur queer! Sonst bleibt alles beim Alten, irgendwann kommt jede Frau und jeder Schwule zu dem Wunsch nach dem eigenen Phallus, und dann sind wir wieder am Anfang und am Ende der Bewegung.Die Befürchtung, die Judith Butler ausgesprochen hat, nämlich daß die Geschlechtsidentität als eine Frage des Bekenntnisse und des Outfits verstanden wird, scheint sich besonders hiezulande zu bewahrheiten. Der Lifestyle wird peinlichst adaptiert, der Rest ist uns egal. Wenn jemand wie Judith Butler nach Deutschland kommt, ist nichts interessanter als ihr Haarschnitt und ihr angeblich burschikoses Aussehen. Das bleibt dann als Essenz über ihren Aufenthalt in Deutschland und über die Queer Debatte zu lesen.
Ich wünschte mir erstmal ein Aufbegehren hier auf den Straßen, in den Bars, in der Uni und nicht zuletzt bei den Feminsten zu spüren, und wir könnten daraus machen was wir wollten, die T-Shirts und buttons sind schon angekommen.
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