Lt. Wichmann

Cyborgs - monströse Geschlechter

zu: Donna J. Haraway's Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature. New York: Routledge, 1991.

In unseren Breitengraden scheint das Thema "Geschlechtsidentität" auf ein merkwürdiges Interesse zu stoßen. Neue Buchreihen werden ins Leben gerufen, Kongresse debattieren/inszenieren die folgenschwere Unterscheidung zwischen Natur und Kultur. In einer anderen Wahrnehmung scheint das Fragen allerdings aus der Mode gekommen zu sein. Da gibt es ein Schulterzucken: na gut, dann habe ich halt eben auch etwas vom anderen Geschlecht. Das ist heute ja auch gar nicht mehr so einfach zu trennen. Die Frauen in den Männerrollen, die Männer als effiminierte Moderatoren... Kurz: der Ansatz, der eine Umwertung sein soll, endet (in der Publikumsreaktion) als passive Indifferenz. Aber ich glaube, daß schon zwei Hinweise deutlich machen können, daß es sich um einen Trugschluß handelt: zum einen ist der Hintergrund der Reaktion sicherlich die Annahme, daß Sprache und Verhalten zwei verschiedene Welten sind; das Verhalten sei sprachlos (oder sprachlich nicht angemessen auszudrücken), die Sprache als der Luxus, den man sich leisten oder eben nicht leisten kann. Und zum zweiten weist die gleichgültige Reaktion (im übrigen meist auch gleichgültig gegenüber sich selbst) als Indifferenz auf das Überspringen einer Differenz hin, das gerade Thema in den Kreisen und Seminaren ist, die man sich hier so schwer nur vorstellen kann. Vielleicht kann die Distanz auch produktiv sein, insofern die Imagination sich nicht in der Vorstellung des selben gefällt, sondern zur Transmission und Übersetzung wird. Auf jeden Fall ist die Indifferenz nicht Lösung, sondern noch immer Teil des Problems (um eine etwas altmodische Ausdrucksweise zu bemühen).
An einem anderen Ort macht man sich jedenfalls scheinbar Gedanken über den Unterschied, der die Identität/Intimität des Einzelnen bestimmt und das Geschlecht ist. Und zwar nicht im Sinne einer Litanei oder Liturgie, die das Schema herausstellt und sich im Besitz dessen wähnt, was ihr entgehen soll (immer schon). Ich will einen Versuch (eigentlich sind es vielfältige Versuche, eine Reihe von Versuchen, eine Suche ohne vorgegebenes Ziel) vorstellen, den Donna Haraway angestellt hat.
Von Hause aus ist sie Biologin - insofern scheint es sich auch um die Fortsetzung eines Experiments, in einer merkwürdig verschlungenen, biographischen Art, zu handeln, das in der biologischen Labor-Forschung und der "Sozio-Biologie" nicht zum Zuge kommen kann. Sie hat sich mit einer Wut und Empörung davon los gemacht, die sie in ihren ersten Ansätzen auf fremden Terrain noch zu rationalisieren versucht. Nacheinander werden einzelne Forscher herausgegriffen, werden die Versuchsanordnungen und -reihen beschrieben, die weniger einem Erkenntnisinteresse des Einzelnen unterliegen als einer kalkulierten Nutzbarmachung. Am Beispiel von Robert Means Yerkes und E.O. Wilson zeigt sie etwa deutlich die Entwicklung auf, die von der Psychobiologie zur Soziobiologie führt. Herrschaft, Dominanz und Gruppenverhalten im Tierreich wird zum Modell eines erfolgreichen sozialen Bio-Engineering (man muß nur genau genug beobachten können). Sie kehrt das evolutionäre Modell um, indem sie die Abhängigkeit der Beobachtung von Primaten-Verhalten von der Logik kapitalistischer Produktion und Reproduktion hervorhebt. Nicht die Primaten geben das Vorbild für Kontrolle und Herrschaft in der menschlichen (technischen, kulturellen, versprachlichten) Gesellschaft ab, sondern die Logik der Reproduktion (des Kapitals und der Abhängigen) bestimmt den wissenschaftlichen Blick mit seinem Anspruch auf Objektivität. Je weiter sie allerdings vorankommt, um so deutlicher wird ihr, daß auch die vehemente Kritik an der funktionalisierten und funktionalisierenden Biologie noch auf einen Wahrheitsanspruch besteht, der jenseits von kultureller und sprachlicher Vermittlung sein Anrecht behaupten könnte (das sagt sie so zwar nicht, aber ...). Ihr wird deutlich, daß die interessantesten und aufschlußreichsten Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung nicht in den Fakten oder Erklärungen bestehen, sondern in der Erfindung von Geschichten. Die Wissenschaft bildet den Rahmen einer narrativen Ordnung; und die bekannteste Fabel erzählt, wie die Natur zur Kultur "vernutzt" wurde.
Donna Haraway berichtet von ihren Erfahrungen in einem Lektüre-Seminar (Buchi Emecheta) an der Universität. Hier war es nicht die Natur, deren Herstellungsprozeß verdeckt, sondern die Erfahrung, die als Beleg einer Unschuld herangezogen wurde. Aber: "Just as nature is one of culture's most startling and non-innocent products, so is experience one of the least innocent, least self-evident aspects of historical, embodied movement." [109] Der Kampf gegen die Selbstverständlichkeiten und Behauptungen von Unschuld wird auf dem Gebiet der literarischen Produktion fortgesetzt. Und hier beginnt sich Haraway leichtfüßig und mit ironischem Witz zu bewegen. Ihrem Text zu folgen heißt Tanzen lernen
Es werden die Überschneidungen und wechselseitigen Überlagerungen zwischen der Theorie der Differenz und der Erfahrung von Andersheit, die durch Hautfarbe oder Geschlecht präformiert sein kann, aufgezeigt. Es geht immer darum, Theorie in der Auseinandersetzung mit anderen Textformen, Erfahrungen und Argumenten zu erproben, zu öffnen und zu erweitern. Das darauf folgende Kapitel beschreibt Donna Haraways Bemühungen, für das Marxistische Wörterbuch (unter der Redaktion von Wolfgang Fritz Haug) einen Artikel zum Thema 'Gender' beizusteuern. Was mit dem Titel "Sexual Politics of a Word" eine Neuauflage Reich'scher SexPol-Ansätze zu sein scheint, reicht doch darüber hinaus, wenn es um den "Inappropriate/d Other" geht. SexPol besteht nicht mehr darin, Freud- und Marx-Lektüre in der Energetik des Wunsches miteinander zu versöhnen, sondern durch die Dualismen hindurch, auf die sich westliche Moralistik stützt, die Erfahrung einer Modulation, Konstruktion, Aufhebung und Durchbrechung aufzuweisen. Körper- und Identitätspolitik, die sich nicht desexualisiert.
Haraways Sprache hat immer eine Agenda im Hintergrund, deren Argumentationen und Vorlieben im Namen eines oft auch dekonstruierten "wir" diskutiert werden. Vielleicht ist das spezifisch für ein Land, in dem bereits 1958 (zwar noch unter dem Vorzeichen einer Natur/Kultur-Trennung) ein Gender Identity Research Project an der UCLA gegründet wurde, das nicht sistieren, festschreiben oder identifizieren, sondern Übergänge, Trans- und Intersexualitäten studieren wollte.
Der zentrale Abschnitt des Buches ist sicherlich der folgende: "A Cyborg Manifesto: Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century". In einer anderen Version wurde das improvisierte Manifest schon 1984 im Berliner Argument-Verlag auf deutsch veröffentlicht. Das Manifest unternimmt den Versuch, Cyber- und Gender-Szene zusammenzubringen, was - folgt man den Kreuzreferenzen in beiden Szenen - zu diversen Formen des Austausches und neuen Ansätzen geführt hat. Was als "ironischer Traum einer gemeinsamen Sprache der Frauen im Integrierten Schaltkreis" eingeleitet wird, ist der Versuch, eine Sprache gegen die Agenten der command-control-communication-intelligence (C3I) zu finden. Im ganzen Buch hört man die Notlage und Bedrängnis feministisch-sozialistischer Theorie in den Staaten heraus (Überlebens-Rhetorik auch auf dem 'Cyborgs For Earthly Survival'-Button), die als Chance einer Reformulierung, Affirmation und experimenteller Allianzen gelesen wird: "We have all been injured, profoundly. We require regeneration, not rebirth, and the possibilities for our reconstitution include the utopian dream of the hope for a monstrous world without gender." [181] Der Cyborg wird als transgressiver Bastard beschrieben, der sich nicht in sexuelle Binärsysteme eingliedert. In der Welt des Cyborg, der Mensch-Maschine-Verkettungen treten mythische Ursprungswelten nicht hegemonial oder matriarchal besetzt auf; organische Ganzheiten stellen keine unschuldigen Pole einer Regression dar. Daß die Verwandlung von Individualität in fraktale Konstruktionen allerdings mehrdeutig ist, wird an der reduktionistischen Entfremdungstheorie von Catherine MacKinnon aufgezeigt. Herrschaft und Kontrolle können nicht aufgehoben werden, indem ein reiner weiblicher Essentialismus ins Feld geführt wird, der imitiert, was er kritisieren möchte. Stattdessen wird die Heteroglossia als eine Sprachpraxis vorgeführt, die sowohl informationstheoretische Wissenschaftskontrolle (genetische Codierung; Militarismus) als auch essentialistische Wiedergeburtsmythen in neuen Formen von Verkettungen, Allianzen und Zusammenschlüssen unterläuft. Das fraktale Subjekt webt an einem illegitimen Text unterhalb dessen, was auf den Schirmen als offizielle Verlautbarung zu lesen ist: "Cyborg politics is the struggle for language and the struggle against perfect communication, against the one code that translates all meaning perfectly, the central dogma of phallogocentrism. That is why cyborg politics insist on noise and advocate pollution, rejoicing in the illegitimate fusions of animal and machine." [176]
In den letzten Abschnitten ihres Buches beschreibt Donna Haraway auf sehr schöne Weise feministisch-sozialistische Praktiken, situativ gebunden und partial geordnet. Dort findet sich auch eine schöne Formulierung, was Gender ist ("Situated Knowledges"): "Gender is a field of structured and structuring difference, where the tones of extreme localization, of the intimately personal and individualized body, vibrate in the same field with global high tension emissions. Feminist embodiment, then, is not about fixed location in a reified body, female or otherwise, but about nodes in fields, inflections in orientations, and responsability for difference in material-semiotic fields of meaning." [195]
Der Weg von den Halbaffen, über die Cyborgs, zu den Frauen ist ein Theorie-Trip, der ohne expliziten Hinweis die Versuche von Foucault (Sexualität & Wahrheit und die Repressionshypothese) und Deleuze/Guattari (Geschlecht als codierte Mensch-Maschine-Kopplung und Frau als Werden) fortsetzt. Eine Stimme, die den Kampf gegen soziobiologisches Engineering nicht im Gegensatz zu lustvollen und witzigen Verdrehungen verortet. Die Geschichte des Post-Post-Strukturalismus steht noch ganz an ihrem Anfang, und die Ansätze der Veteranen gehen mit Postscripta zur Form und Funktion von Kontrollgesellschaften in ähnliche Richtungen.
Mit dem Cyborg hat Donna Haraway eine schillernde Theorie-Figur geschaffen, die Szenen und Konzepte verbinden kann. Man kann ja mal zum Spaß die versteckten Haraway-Referenzen in den bOING bOING-Heften zählen. Und geld*beat*synthetics haben auch schon das Potential entdeckt, daß in den Ausführungen zur postmodernen Biopolitik und -technologie steckt. Es geht aber nicht um den Hype einer Theorie der Saison, sondern um einen der folgenreichsten, schönsten und verbindlichsten Ansätze zur Formulierung einer Sprache der "Körper und der Lüste"

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