Claudia Reinhardt
"Sprengt die Kanäle!" meint Paper Tiger TV
Genauer gesagt ist das der Vorschlag von Mary und Simone, Aktivistinnen bei Paper Tiger TV in Manhatten, die wir im November in Berlin getroffen haben, um mit ihnen ein Interview zu führen. Mary ist schon seit den Anfängen dabei.
Paper Tiger TV gibt es seit 1981. Wöchentlich gibt es eine 28-minütige TV-Sendung (strukturell vergleichbar mit einer Sendung in unserem Offenen Kanal ), die in New York und in anderen Städten Amerikas über Kabel ausgestrahlt wird. Der Inhalt dieser Sendungen ist der eines Nachrichtenmagazins, das sich mit "Realpolitik" auseinandersetzt,indem es berichtet, kommentiert und interpretiert. Das ganze wird von verschiedene Personen oder Gruppen erarbeitet und zusammengestellt. "Die rechten Flügel benutzen TV und Propaganda sehr gut. Wir müssen uns unseren Anteil einfach zurückholen."
In Amerika ist es bisher vertragsmäßig gesichert, daß Kabelstationen einen oder sogar mehrere Kanäle für nicht-kommerzielle Sendungen bereitstellen müssen. Die Zahl der Offenen Kanäle richtet sich nach der Einwohnerzahl, das Programm und die tatsächliche Nutzung dieses Angebots bestimmen die Aktivisten.
Vielleicht könnte man, wenn man schon versucht ist, die Verhältnisse in Amerika, und speziell die in New York, mit einer deutschen "Mentalität" zu vergleichen, diese Szene als eine linke bezeichnen, ohne deutsche Vorurteile damit gemeint zu haben.
Oft wird die Arbeit von Paper Tiger TV als politische Kunst verstanden, was nicht unbedingt die Intention der Gruppe von Paper Tiger ist. "In Köln habe ich festgestellt, daß die Kunstszene nicht gekommen ist um das Happening zu sehen, - die sind nur am ersten und am letzten Tag gekommen. Genau wie "Texte zur Kunst", die das nicht kapieren wollen." Diese Betrachtungsweise verkürzt die Arbeit von Paper Tiger eher, als sie ihr nützt. Ein Kunstkontext mit einem Autonomieanspruch könnte ihre Arbeit reduzieren , eine Rezeption vorgeben, und eine Zusammenarbeit von Künstlern und politisch Handelnden verhindern.
Denn bekanntlich gibt es da eine Trennung zwischen Kunst und politischer Handlung, an deren Aufhebung hier zu Lande hauptsächlich Künstler und Kunstkritiker arbeiten. Für Paper Tiger gibt es da keine Probleme. Die soziale Situation fordert den amerikanischen Pragmatismus heraus. "Man kann warten bis sich die Situation ändert, aber dann wartet man vielleicht für immer. Ich meine immer da wo etwas offen ist sollte man hineingehen."
Paper Tiger TV hat sich zur Aufgabe gemacht, Fernsehen mit Fernsehen zu verändern, Medienkritik zu pragmatisieren, indem man es besser macht.*
Daß das ganz einfach ist, aber viel Mühe und Ausdauer kostet, betonen Mary und Simone immer wieder sehr gerne und verweisen auf die Wandlungen im technischen Amateurbereich, die es ermöglichen, selbst Informationen zusammenzutragen. Equipment und Schneideplätze sind manchmal sogar kostenlos verfügbar (siehe Offener Kanal).
1985/86 entstand Deep Dish, ein Programm, das von Paper Tiger koordiniert und von verschiedenen Video-Aktivisten aus dem ganzen Land produziert und per Satellit ausgestrahlt wird. Das bedeutet, daß diese Sendungen in ganz Amerika gesehen werden können, sofern die Satellitenstationen für ihre Sendezeit kassieren können (600 Dollar pro Stunde) , "was sehr preiswert ist, wenn man bedenkt, wieviele Menschen dadurch erreicht werden können." In diesem Forum geht es um Themen wie AIDS, Housing, Frauen, Central Amerika, Landwirtschaft usw.
Deep Dish zeichnet sich durch eine eigene Organisation, eigene Büroräume, und erkennbaren Stil aus, - eine Mischung aus Nachrichten und Video-Clips. Die Videos, die bei Deep Dish zu sehen sind ,sind von verschieden Leuten aus verschieden Städten gemacht, die dann in einem Zusammenschnitt gesendet werden. So arbeiten verschiedene Leute an verschiedenen Orten an einem Thema.
Paper Tiger besteht auf einen eigenen Stil, der sich anfangs aus Life-Berichten herleitete, nun aber Studioaufnahmen mit einbezieht, - eine Methode, die professioneller, teilweise auch zu homogen wirkt zu den bekannten Informationssendungen.
Die letzte Beschreibung betrifft den Stil, die Ästhetik, - der Inhalt, der bei diesem Projekt einen autonomen Charakter beansprucht, ist zum Beispiel der, daß andere Gesichter auftauchen und diese Gesichter andere Dinge sagen. Zum Beispiel treten Schwarze auf, was im normalem Fernseh-Alltag nur in bestimmten Kontexten vorkommt. " In den amerikanischen Filmen siehst du nur Weiße, das sollte ein Anlaß zur Diskussion sein."
Eine wichtige Aufgabe ist die Demokratisierung der Massenmedien, was eine aktive Herausforderung verlangt. Daß diese Methode dem herrschendem Gesellschaftssystem inhärent sein kann und gefördert wird, wird an diesem Tag nicht diskutiert. Möglicherweise gibt es immanente Angriffspunkte in den kapitalistischen Strukturen, die durch Aktivierung eine Störung innerhalb des Getriebes bewirken können. Paper Tiger arbeitet damit.
"Information und Technologie werden mystifiziert." Deshalb arbeiten Paper Tiger in einem Kollektiv, reden über ihre Arbeiten und versuchen, die konventionelle, unkritische Art des Fernsehens zu sprengen. Die Themen, die behandelt werden, befassen sich mit all dem, was normalerweise nicht behandelt wird: Demonstrationen, Hintergrundberichte, Interviews mit den Leuten auf, und von der Straße. So wird zum Beispiel der Versuch unternommen, mit dem aktuellen Mediengeschehen umzugehen. Dazu konnte man bei Art Acker Videos, die während des Golfkriegs gemacht wurden, sehen.
Es wäre sicherlich interessant in den Zeiten des Golfkrieges vor zwei Jahren und im Moment, wo es sich wiederholt, Paper Tiger TV zu sehen, um zu sehen, ob Kriege wirklich nur Spektakel sind und wie eine andere Auffassung, mit den Methoden des Fernsehens, einen Ausdruck findet. Angesichts der Ereignisse in den letzten Tagen wird mir die Notwendigkeit eines Projekts wie Paper Tiger TV immmer deutlicher; denn schalte ich den Fernseher an, erfahre ich noch nicht einmal mehr ein Spektakel, es wird geschwiegen.
"TV kam nach Amerika mit der Idee, öffentlich zu sein - jetzt ist es aber nicht mehr öffentlich". Deshalb werden die Möglichkeiten des Camcorders, die ein schnelles, einfaches Arbeiten ermöglichen, benutzt, um dann den öffentlichen Kanal zu versorgen, der in den USA offensichtlich als Alternative der Oppostionskräfte gebraucht wird. Paper Tiger versuchten an dieser Stelle mit ihrer Arbeit in Köln, diese Idee auch für Deutschland anwendbar zu machen. "In Köln wurden wir wieder von einer Galerie eingeladen, haben von da aus aber mit linken Aktivisten einen Video gemacht, das waren Studenten und Künstler." Daraus bildete sich eine Gruppe, die sich mit dem "Asylanten"-Thema beschäftigte. Die Resultate konnten von uns leider noch nicht gesehen werden.
Hemmungen, dieses Medium zu benutzen, das schließlich die Schuld vieler Mißstände tragen muß (s. dazu Spiegel-Titelstorry in der zweiten Januarwoche), gibt es nicht. Vielleicht, weil es in Amerika nicht so reaktionäre Medienkritiker/forscher/analytiker gibt, die den Politikern die Argumente und wissenschaftliche Belegbarkeit anbieten, um ihre Zensuren endlich zu realisieren. Die Politik in Amerika hat durch ihre Zensur offensichtlich nichts verändert, was jedoch keine andere Analyse des Medienmenschen eröffnete. Ich befürchte, daß sich bei uns die gleichen Denkfehler etablieren werden, die natürlich so unschuldig gar nicht sind.
Ob man ihre Aktivitäten als Kunst bezeichnet oder nicht, ist ihnen ziemlich egal und deshalb gibt es keine Schwierigkeiten, auf Einladungen von Galerien und kulturellen Institutionen zu reagieren. "Wir wollen die Idee zerstören, daß Kunstraum nur ein Raum ist, um hineinzuschauen und zu gehen. Wir wollen diesen Freiraum benutzen. Es gibt keinen Grund, sich in der Wahl der Mittel einzuschränken. Kunst ist nur einer der Plätze, zu sagen was man zu sagen hat. Wir würden nie sagen, - oh dies ist ein Kunstkontext, das interessiert uns nicht, weil wir keine Künstler sind."
Das Interesse an Pager Tiger TV New York ist offensichtlich sehr groß in Deutschland - deren Praxis zu übernehmen allerdings nicht, was von Seiten der Amerikaner als Ignoranz und Faulheit interpretiert wird. Auch in den USA mußte ein Interesse erkämpft werden, und dieser Kampf wird jetzt durch die neuen Datenübertragungs-Systeme, wie "Video Dial Tone"** verstärkt, wo auf den Konsumenten noch mehr Kosten und Selektionsentscheidungen zukommen. Es wurde eine Gruppe formiert, die sich speziell mit dieser Sache beschäftigt, das heißt, Rechte einfordert, die sonst unter den Tisch fallen würden.
"Man sollte Fernsehen als Anlaß zur Diskussion nehmen." Zwar ist es nicht möglich, dadurch einen Nazi zu bekehren - aber es gibt die Möglichkeit, Menschen und Meinungen sichtbar zu machen und so einen kritischen Diskurs anzuzetteln. Wenn du nie Schwarze im Fernsehen siehst, vermittelt das einen Eindruck, als gäbe es sie nicht. Schwarze werden lieber in Verbindung mit Gewalt und Verbrechen gezeigt; das prägt offensichtlich das ordinäre Assoziationsvermögen des trainierten Konsumenten.
Durch ständige Selbstreflexion in der Gruppe glauben Paper Tiger, der Gefahr, eine bloße Alternativsendung zu sein, zu entgehen. "Man sollte nie aufhören, über etwas zu reden." Stumm und passiv ist gleich null und nichts, - Bildung als Gegenbegriff dagegen ein langer Prozeß, der von Paper Tiger durchlaufen werden soll.
"In Amerika gibt es zur Zeit eine Menge Leute, die nicht besonders viel lesen, sehr viele können nicht lesen. Ein Video ist da sehr viel effektiver. Du siehst 20 Minuten und kannst daraus lernen". Vielleicht ist das ein Argument für den amerikanischen Weg. Allerdings ist Medium nicht gleich Medium, wie die Kritik eines Amerikaners lautet, und Massenunterhaltungsindustrie ist Scheiße, gleichgültig mit welchem Anspruch, wie Adorno sagt. Wie sich also Paper Tiger mit der Frankfurter Schule verbindet (sie erwähnen natürlich Enzensberger und tragen einen I-love-Adorno-Button), könnte eine Diskussion sein, die nicht unterbrochen werden sollte.
Wir danken Simon und Mary für das Gespräch, das ich hier gekürzt und interpretiert habe.
* "Medien" ist in diesem Zusammenhang mit 'Information und Nachrichten' zu übersetzen.
** "Dial Tone": Moderne Videothek, wo man per Telefon den gewünschten Film wählt und später bezahlt. Hervorragendes Geschäft für den Pornomarkt (siehe Teresa Orlowski).
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