Hans-Christian Dany/Ina Wudtke

Von der verlorenen Ehre der deutschen Frau

Da dreht eine Feministin, dem Geiste (inzwischen der offensichtlichen Geistlosigkeit) der 70er Jahre verhaftet, einen Film über die am Ende des 2. Weltkrieges von Rotarmisten vergewaltigten Frauen. Inzwischen darf man ja auch wieder Russen sagen.
Ein Thema, mit dem man meine aus Pommern und Danzig stammenden Verwandten in windeseile in endlose Hetzkampanien gegen die barbarischen Russen versetzen kann. Die Oma haben sie zwar nicht vergewaltigt, aber Alles zerschlagen und dem Opa in den Hut geschissen. Wir armen Deutschen... Mit der angeblichen erstmaligen Enttarnung dieses tabuisierten, deutschen Frauenschicksals schmückt sich nun Helke Sander. Der Film vermittelt durchgängig den Eindruck: Frauen seien arme, am politischen Geschehen lediglich als Opfer beteiligte Wesen. Die von waltenden und schaltenden Tätern, den Männern, benutzt werden. In diesem Falle eben massenhaft durch Russen vergewaltigt werden.
In um Wissenschaftlichkeit bemühten Zahlenspielen, teilt uns eine reizende "Rechnerin" Erkenntnisse mit wie, "der Engländer verwaltigte im Allgemeinen kaum".
Während Helke Sander in interviewartigen Inszenierungen mit Frauen spricht, in denen ein Gemisch aus Verbunden- und Betroffenheit vorherrscht, werden Opfer gezeigt zwischen ihren Kuscheltieren, Einmachgläsern und im Glanze bunter Lichter. Ein romantisches "Aktenzeichen XY Ungelöst" und Hildegard Knef liest als weiblicher Eduard Zimmermann aus Penthesilea vor. Da wird es immer unwesentlicher, was diese Frauen sagen, wer sie sind, um welche Zeit es sich gehandelt hat und welcher politische Kontext bestand.
Im Anschluß an den Film entgegnet Helke Sander auf den Hinweis, ihr Umgang mit Dokumentarmaterial sei ja nicht sonderlich wissenschatlich, - ihr Film sei vielleicht emotional, aber Emotion könne auch Wissenschaft sein. Was an diesem Film tiefste Emotion (gesundes Volksempfinden) sein sollte, darüber herrschte offensichtlich ein Konsens im Kino.
Komentarlos wird eine zum Wehrmachtsbordell umfunktionierte Synagoge gezeigt, selbst bei diesen Bildern wird einzig und allein nach dem Frauenschicksal gefragt.
Unverständlich blieb auch, wie man eine der Frauen an zwei Stellen Hinweise zu diesem Thema in einem ausgesprochen faschistoiden Jargon geben läßt, ohne im geringsten nachzuhaken oder den Kontext zu klären. Es ensteht der Eindruck, Helke Sander spricht gerne von Frau zu Frau, egal was diese sagt oder denkt. Die Auswahl der Befragten in diesem Film wirkt wahlos. Hinzu kommt, daß der Zuschauer fast nie weiß, wer nun gerade spricht.
Im Zug nach Rußland kündigt Frau Sander an, eine Rotarmistin zu befragen, ob sie sich denn nach dem Sieg auch einen deutschen Mann gegönnt hätte. Als die ehemalige Rotarmistin aber nicht einmal von den Vergewaltigungen durch die Männer gewußt haben will, fällt diese Frage, die endlich einmal einen gewissen Unterhaltungswert gehabt hätte, leider unter den Tisch.
Sie macht einen Film über das Unrecht welches hauptsächlich deutschen Arier-Frauen widerfahren ist. Das eben diese deutschen Frauen, die Granaten für das Unternehmen Barbarossa zusammenschraubten, die verwundeten Soldaten wieder kampffähig pflegten, beim Reichsarbeitsdienst durchaus ganze Arbeit leisteten, als KZ-Aufseherin der Grausamkeit der deutschen Frau alle Ehre machten und den Männern in kaum etwas nachstanden. Als hätte dem, beiweitem nicht nur von Männern getragenen, Nationalsozialimus nicht sehr viel an der Gleichstellung der Frau gelegen, allein schon um den kämpfenden Mann, zuhause im Reich möglichst effektiv ersetzen zu können. Die das Hinterland aufrecht erhielten, welche die verbrannte Erde im Osten mit ermöglichte. Helke Sander interesiert sich aber nicht für die Frau als Handelnde und Täterin.
Eine der befragten Frauen berichtet: Ja, man sagte als Frau besser nichts von einer Vergewaltigung. Schon die Wikinger brachten ihre Frauen um, wenn sie vergewaltigt wurden. "Auch wenn sie nichts dafür konnten." Frauen waren für die Männer das Gefäß ihres Kindes, welches kein anderer besitzen konnte. "Sehen sie, früher dachte man sogar bei Hunden, die einmal falsch gedeckt wurden, daß sie damit für die weitere Rassezucht unbrauchbar wären." Dabei stimmt dies überhaupt nicht, da ist ja nur ein Wurf von Welpen kaputt. Sobald wieder der richtige Partner deckt, werden es wieder Rassehunde.
Helke Sander nickt verständnisvoll, als stimme sie dieser Vermischung der Begriffe aus Mensch- und Tierwelt rückhaltlos zu. Dabei sitzen sie in einer sehr deutsch anmutenden Ratsherrenkelleratmosphäre bei einem großem Glas pissfarbenem Getränk. Die Ärztin berichtet weiter, die Frauen hätten nach Vergewaltigung in das Krankenhaus kommen können, um sich "sanieren" zu lassen. Die Ärztin ist stolz darauf, gegen die finanziellen Interessen des Krankenhauses die Anonymität der behandelten Patientinnen gewahrt zu haben. Fragen, wie nach dem Sinn einer als "Sanierung" bezeichneten Spülung - die weder eine Schwangerschaft noch eine Geschlechtskrankheit verhindern kann - bleiben ungestellt. Unter welchen Konditionen man 1937 in Deutschland Medizin studierte oder wie sie zu Abtreibungen stand, die, wie wir von der nächsten Dame erfahren, trotz Vergewaltigung von den meisten männlichen Kollegen nicht bewilligt wurden, kommen nicht zur Sprache.
Neben dem Nicken gehört ein langestrecktes Niederschlagen der Augenlieder zu Helke Sanders Repertoire. Dafür präsentiert die Regisseurin ihr vor lauter Mitleid zerfurchtes Gesicht auch schon mal in einer Großaufnahme. Für jeden Gesprächspartner zieht sie sich passend an und entwirft schreiend metaphorische Locations (zwei weißgekleidete Frauen reden in einer gelbgefilterten Wüste), triefende Re-Inszenierungen traumatischer Erlebnisse.
Die nächste Dame bezeichnet ihre Geschlechtsgenossinnen durchgehend als 'Muttis'. Was wohl daher rührt, daß sie als Säuglingsschwester vor und nach dem 2.Weltkrieg in der Charité gearbeitet hat. Sie weiß auch nicht, warum der Doktor so hart zu den durch den Vergewaltigung geschwängerten "Muttis" war. Viele hatten doch bereits Kinder und waren verheiratet. - Hatten also bereits ihre Pflicht erfüllt. - Ja, und so kam es, daß die "Muttis", oft auch aus Angst vor ihren Gatten, die armen Kleinen einfach im Krankenhaus ließen. Helke Sander gibt sich wieder kommentarlos mitfühlend.
Anders ist dies bei einem russischen Besatzungsoldaten, mit dem sie sich in zwei Sesseln, Rückenlehne an Rückenlehne ins Bild setzt.
Oder dieser deutsche Mann, der aus einer Vergewaltigung hervorgegangen ist. Zuerst lenkt die Kamera auf den Sack, dann gleitet sie langsam auf den darüber liegenden Koppelgürtel - mit Hammer und Sichel. Weiter oben gibt dieser "Sohn der Gewalt" dann endlich zu, auch schon mal Frauen, die weniger Lust auf Sex gehabt hätten als er, verführt zu haben. - Tja, wie der Vater so der Sohn, drängt es sich einem da auf. Oder eben - einfach wie ein Mann.
Sieben Jahre ist sie in Archiven herumgekrochen, hören wir in der anschließenden Diskussion. Über grausame Morde im Kriege, wie zum Beispiel das Aufspießen eines in die Luft geworfenen Babys auf ein Bajonett, würde man genug finden. Nur über Fragen die die Sexualität beträfen, wie eben Vergewaltigung, hätte sie nichts gefunden. Hier beginnt man sich zu fragen, welchen Begriff von Sexualität Frau Sander wohl haben könnte. Fast als einzige Form von Sexualität taucht die Vergewaltigung auf. Nur einmal am Rande spricht eine der Damen in dem Film von "zweckfreien Zärtlichkeiten" - die eine spezielle Forderung an den Partner, einer von Vergewaltigung Betroffenen, stellt. Ist nicht schon ihr spontanes Beispiel für Grausamkeit eine drastische, phallische Metapher für eine vom Mann rückgängig gemachte Zeugung und das Verhältnis von Sexualität und Tod.
Zwischendurch taucht mehrmals ein Szenario auf, in dem viele der befragten Damen vor einem Block von vier Fernsehern sitzen. Auf zwei Bildschirmen liest Hildegard Knef ("1+1=2") aus Kleists Penthesilea vor. Während auf den beiden anderen Monitoren ein Mann berichtet, daß er Pornofilme antörnend findet, dabei hängt er ein Bein über seine Sitznachbarin. Die Damen spannen daraufhin Schirme auf.
Es mag sein, daß sich dieses Bild aus einer tiefen weiblichen Emotionswissenschaftlichkeit erschliesst, uns nicht.
Vom "Tag an dem der Regen kam", werden wir in den sonnendurchschienen Hain vor eine Kaserne der Besatzer transportiert. Überall tummeln sich spielende Kinder von Rotarmisten und eine junge Dame im Blümchenkleid erzählt, wie glücklich sie wäre, daß ihr Vater, der die Mutter unter nicht ganz eindeutigen Umständen geschwängert hätte, ein Russe und kein Amerikaner sei. Wie großartig es für sie war, dann in Moskau all den Menschen mit ihrer Augenfarbe zu begenennen.
Hiermit wäre einem arschlangweiligen und schlechtem Film schon zu viel Platz eingeräumt. Dieser Feminismus deutscher Spielart hat wieder einmal eine Chance verpaßt, die Frage nach dem Bild der Frau neu zu beantworten. Beharrlich wird weiterhin ignoriert, daß sich der Feminismus weltweit nicht mehr die Bohne für diesen Opfergestus interessiert. Die Erkenntnisse von Madonna und Cicciolina sind vielleicht auch nicht mehr das Neuste, aber immer noch "feministischer" und spannender als Helke Sanders drei Stunden Deutschtümmelei.
"BeFreier und Befreite" reiht sich aber auch erschreckend in eine Kolonne jüngster Tendenzen in Deutschland ein. Nach der Wiedervereinigung unter dem Vorwand des Tabubruches einiges wieder sagen zu dürfen. So wie kürzlich ein wackerer CDU-Mann aus den Neuen Ländern, der endlich wieder einmal fragt, was sich der Jude eigentlich als Nichtdeutscher in deutsche Angelegenheiten einzumischen hätte. Oder zu glauben man könne jetzt die glorreichen Errungenschaften der deutschen Raumfahrt wieder in Peenemünde feiern. Um dort, wo die V2 dem deutschen Mutterschoß entschlüfte, einen erlebnisorientierten Freizeitpark mit Raumfahrtsimulatoren zu erzurichten. Oder die Dresdner Demonstranten, die die Queen mit Eierwürfen auf die Knie zwingen wollen, damit sie sich endlich einmal "richtig" für die Bombenangriffe von 1945 gegen das Naziregime entschuldige.
Sie alle, auch die Rostocker, wollen sich wie der Kanzler, der den Staatsnotstand ausruft, als Opfer und Unterdrückte verstanden wissen, die nun nicht mehr anders können als zur Tat zu schreiten.
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